Die globale Ordnung steht unter Druck: Die USA ziehen sich aus der regelbasierten Weltordnung zurück, multilaterale Strukturen geraten ins Wanken, Finanzierungslücken wachsen. In diesem Vakuum könnte Deutschland – als nun größter bilateraler Geber für öffentliche Mittel für Entwicklungsleistungen (ODA) – zum zentralen Akteur internationaler Zusammenarbeit werden. Doch der Koalitionsvertrag 2025 zeigt: Die neue Bundesregierung ist sich noch uneins über den Kurs.
Zwar benennt der Koalitionsvertrag die vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit – Klimawandel, Pandemien, Schuldenkrisen und bewaffnete Konflikte – und betont die Bedeutung strategischer Partnerschaften mit dem Globalen Süden, insbesondere mit dem afrikanischen Kontinent. Gleichzeitig plant die künftige Bundesregierung Kürzungen bei der strategisch wichtigen Entwicklungszusammenarbeit – und streicht erstmals seit drei Jahrzehnten das Bekenntnis zur 0,7-Prozent-Quote. Diese strategische Unentschlossenheit zieht sich durch den gesamten Koalitionsvertrag.
Was der Koalitionsvertrag zur internationalen Zusammenarbeit sagt – und was nicht
1. Das BMZ als eigenständiges Ministerium
Seit Jahren steht es immer wieder zur Debatte, noch nie war es so knapp wie jetzt: Die Diskussion, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ins Auswärtige Amt (AA) zu integrieren. Umso bedeutender das Ergebnis: Das BMZ bleibt eigenständig. Ein wichtiges Zeichen, denn Entwicklungspolitik braucht eigene Strukturen, Expertise und politische Sichtbarkeit. Gerade jetzt, wo sich große Mächte aus der internationalen Arena zurückziehen.
2. Absenkung von Entwicklungsfinanzierung
Gerade erst wurden die Zahlen zur Entwicklungsfinanzierung der OECD für das Jahr 2024 veröffentlicht. Deutschland fiel 2024 zum ersten Mal seit 2020 unter die 0,7-Prozent-Marke. Im Koalitionsvertrag ist von einer „angemessenen Absenkung“ der ODA-Quote die Rede. Diese Absenkung dürfte aber nicht unter die Zielmarke von 0,7-Prozent fallen.
Angesichts globaler Herausforderungen und der Tatsache, dass ein großer Teil der ODA-Mittel ohnehin in Deutschland bleiben (z.B. können Kosten für die Unterbringung von Geflüchteten in Deutschland auf die ODA-Quote angerechnet werden), ist die Schmerzgrenze für eine Absenkung schon längst überschritten.
3. Keine Maßnahmen für globale Gesundheit
Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie eng globale Gesundheit mit Sicherheit und Stabilität verknüpft ist. Internationale Initiativen wie die Impfallianz Gavi, der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) oder die Globale Initiative zur Ausrottung von Polio (GPEI) haben entscheidend dazu beigetragen, Leben zu retten, Gesundheitssysteme zu stärken und Pandemien einzudämmen – nicht nur im Globalen Süden.
Der Koalitionsvertrag betont zwar, man wolle den Ausbruch und die Verbreitung von Krankheiten „gemeinsam mit Partnern“ bekämpfen – konkrete Maßnahmen, Summen oder Nennungen zentraler Akteure fehlen jedoch. Dabei wäre gerade jetzt ein starkes Signal für globale Gesundheitspolitik notwendig.
4. Zusagen zur Klimafinanzierung fehlen
Der Koalitionsvertrag bekennt sich zwar zu den Pariser Klimazielen und zur Agenda 2030, doch es fehlen konkrete Zusagen zur internationalen Klimafinanzierung. Diese Mittel sind entscheidend, um Partnerländer – die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, aber nun am meisten darunter leiden – beim Ausbau erneuerbarer Energien, bei Klimaanpassung und Resilienzmaßnahmen zu unterstützen. Deutschland hat sich zu einem „fairen Beitrag“ verpflichtet, jedoch liegt das kürzlich auf der COP29 verabschiedete internationale Klimafinanzierungsziel deutlich unter dem tatsächlichen Bedarf. Deutschland muss daher eine ambitionierte und gerechte Klimafinanzierung vorantreiben. Das bedeutet insbesondere Zuschüsse für Projekte der Anpassung in besonders vulnerablen Ländern (LDCs).
5. Keine Sicherheit ohne Entwicklungszusammenarbeit
Der Fokus der neuen Regierung liegt klar auf Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit. Entwicklungszusammenarbeit wird jedoch kaum als Teil moderner Sicherheitspolitik gedacht. Dabei liegt genau hier der Schlüssel: Wer in Gesundheit, Bildung und Ernährung investiert, beugt Instabilität vor. Prävention ist immer kostengünstiger als ausgebrochene Konflikte zu befrieden, zerstörte Infrastruktur wiederaufzuladen und eine Gesellschaft wieder zueinander zu bringen. Kooperation ist kein Kostenfaktor – sondern eine langfristige Investition in Sicherheit.
6. Schuldenkrise im Globalen Süden beenden
Der Koalitionsvertrag setzt ein wichtiges Signal: Er erkennt die wachsende Schuldenlast vieler Länder des Globalen Südens an und kündigt an, dass sich die künftige Bundesregierung unter Einbeziehung aller Gläubiger für eine effektive Lösung einsetzen will. Das ist ein erfreulicher und notwendiger Schritt.
Doch damit die Ankündigung auch Wirkung entfalten kann, braucht es nun konkrete Maßnahmen: bislang fehlen ein klarer Fahrplan für Schuldenerlasse, Initiativen zur Reform der internationalen Finanzarchitektur sowie Ansätze zur Stärkung der Verhandlungsmacht überschuldeter Länder.
Gerade für Afrika, wo sich 21 der 36 hochverschuldeten Länder mit niedrigem Einkommen befinden, sind strukturelle Lösungen dringend erforderlich. Sonst drohen essenzielle Ausgaben etwa für Bildung, Gesundheit oder Klimaanpassung wegzubrechen – mit gravierenden Folgen für die betroffenen Menschen.
7. Feministische Außen- und Entwicklungspolitik
Der Begriff „feministische Außen- und Entwicklungspolitik“ fehlt im Koalitionsvertrag komplett. Die künftige Bundesregierung betont ihr Engagement für die Förderung von Mädchen und Frauen – insbesondere durch den Schutz sexueller und reproduktiver Rechte. Auch das Bekenntnis zur VN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden, Sicherheit“ sowie zur EU-weiten Ratifizierung der Istanbul-Konvention gegen geschlechtsspezifische Gewalt bleibt bestehen.
Um strukturelle Ungleichheiten für alle Menschen – nicht nur für Frauen und Mädchen, sondern auch u.a. für queere Menschen – wirksam zu adressieren, braucht es jedoch mehr als Einzelmaßnahmen. Es bedarf eines grundlegenderen, ganzheitlichen und gendertransformativen Ansatzes, der patriarchale Machtverhältnisse in den Blick nimmt und echte Systemveränderung anstrebt. Hier bieten die Strategie des BMZ für eine feministische Entwicklungspolitik und die Leitlinien für eine feministische Außenpolitik des Auswärtigen Amtes konkrete und ambitionierte Ansatzpunkte – sie müssen beibehalten und konsequent mit klaren Zielen, verbindlichen Finanzierungszusagen und politischem Willen umgesetzt werden. Nur so kann Gendergerechtigkeit dauerhaft ins Zentrum deutscher Außen- und Entwicklungspolitik rücken.
8. Partnerschaften mit dem afrikanischen Kontinent
Die Afrikanische Union wird im Koalitionsvertrag als wichtige Partnerin genannt. Auch die Unterstützung der Afrikanischen Freihandelszone wird angekündigt. Doch über sicherheitspolitische Schlagworte – Terrorismusbekämpfung, Fluchtursachen, Sahel – geht die Afrikapolitik kaum hinaus. Was fehlt, ist ein Verständnis von Afrika als dynamischer Kontinent mit demografischem Potenzial, wachsender Innovationskraft und zentraler Bedeutung für globale Lieferketten, Rohstoffe und grüne Technologien. Wer hier Partnerschaft auf Augenhöhe will, muss auch in faire Handelsbedingungen, Technologietransfer und lokale Wertschöpfung investieren.
9. Rohstoffe aus Afrika
Der Zugang zu Rohstoffen ist ein strategischer Schwerpunkt der Bundesregierung. Der Koalitionsvertrag verspricht Partnerschaften „auf Augenhöhe“ – gleichzeitig soll die Weiterverarbeitung stärker in Europa stattfinden. Das schwächt lokale Wertschöpfung und verhindert den Aufbau von Arbeitsplätzen in Partnerländern. Dabei ist gerade Deutschland auf Rohstoffe aus Afrika angewiesen – etwa für die Energiewende und die Produktion von grünem Wasserstoff. Eine echte Partnerschaft braucht mehr als Rohstoffsicherung – sie braucht Investitionen in lokale Industrie und Zukunftschancen.
Der Koalitionsvertrag ist vage
Die weltpolitische Lage eröffnet Chancen, doch der Koalitionsvertrag bleibt vage. Inmitten globaler Krisen und geopolitischer Verschiebungen könnte Deutschland internationale Führungsverantwortung übernehmen – allein durch Verlässlichkeit und Kontinuität. Doch dafür braucht es klare Prioritäten statt Kürzungen. Wer Verantwortung will, muss Ideen mit konkreten Maßnahmen und Finanzierung unterlegen. Deutschland steht an einem Scheideweg: Gestaltet es als verlässlicher Partner die globale Zusammenarbeit – oder überlässt es das Feld anderen?