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Auf dem Weg nach Elmau: Was die deutsche G7-Präsidentschaft erreichen kann

Beim Stichwort G7 denken die meisten Menschen lediglich an die jährlich stattfindenden Gipfeltreffen. Meist an recht abgelegenen Orten treffen sich die Staats- und Regierungschef*innen Frankreichs, Italiens, Japans, Kanadas, des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten und Deutschlands, um über große globalpolitische Themen zu diskutieren. Die Ergebnisse dieses zwei- bis dreitägigen Forums: Ein seitenlanges Dokument, das von wenigen tatsächlich gelesen wird und auf die breite Öffentlichkeit genauso abstrakt wirkt wie das Treffen selbst. Große Worte, wenig konkret nachvollziehbare Handlungen. Dann beschäftigen wir uns einfach nicht mit diesem Ereignis? Das steht nicht zur Debatte. Denn die sieben Staaten machen nicht nur zehn Prozent der Weltbevölkerung, sondern auch rund die Hälfte des globalen Vermögens aus. Bedeutet: Wenn der politische Wille generiert werden kann, könnten diese Entscheidungsträger*innen wichtige Maßnahmen gegen globale Ungleichheiten, für Krisenbekämpfung und nachhaltige Entwicklung auf den Weg bringen. Deshalb arbeitet die Zivilgesellschaft rund um den Globus jedes Jahr zu diesem Ereignis.

Die G7-Staats- und Regierungschef*innen mit der Präsidentin der EU-Kommission Von der Leyen und dem Präsidenten des EU-Rats Charles Michel auf dem G7-Gipfel in Cornwall, 2021.

Ein genauer Blick auf den anstehenden Prozess

Dabei gilt auch für den diesjährigen G7-Prozess: Der Weg ist das Ziel. Denn entgegen der medialen Abbildung werden die wichtigen Entscheidungen nicht erst Ende Juni auf Schloss Elmau getroffen. Deutschland hat zu Beginn dieses Jahres die Präsidentschaft übernommen und damit auch den Prozess angestoßen. Über die nächsten Monate wird eine Vielzahl an Treffen zwischen den Minister*innen der Länder stattfinden. Dabei werden beispielsweise die G7-Außen- und Entwicklungsminister*innen im Vorfeld des Gipfels zusammenkommen, um Handlungsmöglichkeiten für eine möglichst effiziente internationale Zusammenarbeit zum Erreichen von globaler Gerechtigkeit und der Agenda 2030 auszuloten. Die konkreten Themen, die dabei im Vordergrund stehen, bereiten vor allem die Sherpa-Stäbe der Regierungen vor. Diese persönlich Beauftragten der G7-Staats- und Regierungschef*innen werden sich ebenfalls über die kommenden Monate regelmäßig treffen, um das Programm des Gipfeltreffens auszuarbeiten. Doch fernab der Regierungsebene finden mindestens genauso spannende Prozesse statt: Seit dem „Urweltwirtschaftsgipfel“ 1975, der den Grundstein für die G7-Gipfel legte, haben sich immer mehr Gruppen in der Gesellschaft zusammengetan, um gemeinsam konkrete Forderungen zu ihren Kernthemen an die Politiker*innen zu stellen. Diese fachpolitischen Dialoggruppen übernehmen dabei eine beratende Funktion und sind eine große Bereicherung für den gesamten G7-Prozess. So gibt es beispielsweise eine Jugenddelegation (Youth 7), die insbesondere die Herausforderungen der jungen Generation im Blick hat, einen Zusammenschluss von Gewerkschaftsverbänden aus den G7-Ländern (Labour 7) und eine Gruppe von Wissenschaftler*innen (Science 7). Seit 2018 beschäftigt sich eine Berater*innengruppe konkret mit Empfehlungen an die G7 zum Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung in der Welt – die Women 7. Dieses Jahr wird dieser Dialog vom Deutschen Frauenrat ausgerichtet. Die Arbeitsgruppen beschäftigen sich dabei mit Themen von einer geschlechtergerechten Erholung von der COVID-19-Pandemie über geschlechtsspezifische Gewalt bis zu feministischer Außenpolitik. Ähnliche Themengebieten wie globale Gesundheit und Klimagerechtigkeit bearbeiten auch zivilgesellschaftliche Organisationen, die unter der Leitung von VENRO die diesjährige Civil-7-Taskforce bilden. Einer der größten Pluspunkte dieser zwei Prozesse: Nicht nur Akteur*innen aus den G7-Ländern, sondern aus aller Welt, können bei W7 und C7 mitwirken und haben dementsprechend Einfluss auf die Empfehlungen, die an die G7 herangetragen werden. Also gilt auch hier: Augen offen halten lohnt sich.

Der @G7-Prozess besteht aus weit mehr als aus dem Gipfeltreffen – er ist ein ganzjähriger Arbeitsprozess. Erfahren Sie im Video mehr über die verschiedenen Arbeitsebenen. Welche Schwerpunktthemen dabei verhandelt werden, lesen Sie hier: https://t.co/a5kL6iXHqr #G7GER pic.twitter.com/kbPypPEtpc

— G7 GER (@G7) February 11, 2022

Und was sagt die Agenda?

Die Bundesregierung hat zum Jahresbeginn fünf große Themen als Schwerpunkte für den diesjährigen G7-Prozess herauskristallisiert. Internationaler Klimaschutz, eine gerechte wirtschaftliche Erholung von der COVID-19-Pandemie, die Stärkung globaler Gesundheitssysteme, Investitionen in nachhaltige Entwicklung und Infrastruktur und die Resilienz von Demokratien. Große Worte in einem nach wie vor von der Pandemie bestimmten 2022. Darum ist es wichtig, dass diese angesetzten Ziele auch mit konkreten Zusagen gefüllt werden. Gleichzeitig ist es für die neue Ampelregierung eine erste Herausforderung, aber auch Möglichkeit, eigene Akzente zu setzen und wichtige Themen für eine sozio-ökonomische Transformation auf globaler Ebene voranzutreiben.

Einige schnelle Maßnahmen sind dabei im Hinblick auf ein Erreichen der Agenda 2030 unerlässlich. 2015 trug der damalige G7-Gipfel – ebenfalls auf Schloss Elmau – mit Ankündigungen für starken Klimaschutz im Kommuniqué eventuell dazu bei, den Weg zur Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens später im selben Jahr zu ebnen. Sieben Jahre und verstörend wenig tatsächlichen Einsatz später reicht es nicht, schlichtweg daran anzuknüpfen. Der von der Bundesregierung angestrebte internationale Klimaclub darf keinesfalls nur dazu dienen, Industriestaaten, die sich endlich den Klimazielen annehmen, Wettbewerbsvorteile zu sichern. Vielmehr muss er der Entlastung von bereits jetzt hart getroffenen Ländern, hauptsächlich im Globalen Süden, und langfristigen Partnerschaften zur gemeinsamen Bewältigung dieser immensen globalen Herausforderung dienen.

Gleichzeitig kann eine weltweit gerechte wirtschaftliche Erholung von der COVID-19-Pandemie nur gelingen, wenn von Armut betroffene Länder dabei tatkräftig in Form von Schuldenmoratorien und ausreichend finanziellen Mitteln unterstützt werden. Wir können es uns nicht leisten, viele wichtige Partner zurückzulassen. Und weiterhin gilt: Ohne eine weltweit gerechte Verteilung von COVID-19-Impfstoffen und ambitionierte Maßnahmen für globale Pandemievorsorge rückt das Ziel einer „grünen Erholung“ für die Weltwirtschaft in immer weitere Ferne. Je länger wir dem Virus Zeit und Raum lassen, um zu mutieren, während große Teile der Weltbevölkerung ungeschützt bleiben, desto mehr langfristigen Schaden verursachen wir für uns alle. Diesen gilt es nun schnellstmöglich zu begrenzen. Dabei könnte auch das Thema der temporären Patentfreigabe zur Erhöhung von Produktionskapazitäten in Ländern des Globalen Südens erneut auf dem Tisch landen. Diesen sogenannten TRIPS-Waiver lehnt die Bundesregierung, im Gegensatz zu anderen G7-Mitgliedern wie den USA, bisher ab.

Schließlich muss bei Verhandlungen zu gemeinsamen finanziellen Anstrengungen für nachhaltige Entwicklung die Stärkung der afrikanischen Wirtschaft ein wichtiger Gesprächspunkt sein. Fehlende Investitionen in die intrakontinentale Infrastruktur bewirken, dass die erfolgversprechende Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) aktuell noch nicht ihr volles Potenzial entfalten kann. Die G7-Länder haben die Möglichkeit, die Wichtigkeit des afrikanischen Kontinents als Handelspartner der Zukunft zu erkennen und gleichermaßen grünes Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung voranzutreiben. Besonders die Bundesregierung hat bezüglich Ausländischer Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment, FDI) in afrikanische Länder noch einige Luft nach oben.

Ein gemeinsamer Fahrplan

Natürlich gibt es Themen, die sektorübergreifend Priorität haben müssen: Einsatz für weltweite Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit und Klimagerechtigkeit dürfen nicht gegen strategiepolitische Ziele abgewogen werden – sonst brechen die G7 und damit auch die Bundesregierung selbstgemachte Versprechen der letzten Jahrzehnte. Einerseits ist es natürlich wichtig, in möglichst vielen Unterfangen an einem Strang ziehen zu können. Andererseits ist die Zeit für lange Reden und viel heiße Luft längst vorbei – die großen globalen Krisen unserer Zeit fordern echten Fortschritt. Und dem haben sich die Ampelparteien als neue Bundesregierung schwarz auf weiß verpflichtet. Welche Kompromisse sie auf dem Weg dahin mit ihren G7-Partnern machen muss, wird sich zeigen. Es bleibt zu hoffen, dass die Länder ihre Verantwortung anerkennen, sich konkretem Einsatz verpflichten und Stimmen aus der Zivilgesellschaft, insbesondere auch aus Ländern des Globalen Südens, in ihre Entscheidungsprozesse einbinden.

Du willst zum Prozess auf dem Laufenden bleiben? Sowohl Women 7 als auch Civil 7 werden über die kommenden Monate fleißig tweeten und auch die Bundesregierung wird laufend Infos bereitstellen. Auf unseren Kanälen werdet ihr alles rund um Themen der globalen Gerechtigkeit finden.

 

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