1. Startseite
  2. Neuigkeiten
  3. Was bedeutet Intersektionalität?

Was bedeutet Intersektionalität?

Auf den Begriff der Intersektionalität stößt man immer häufiger – nicht zuletzt im Black History Month, der in Deutschland jedes Jahr im Februar stattfindet. Das Konzept der Intersektionalität, wie es heute verstanden wird, wurde inspiriert durch die Forderungen Schwarzer und sozialistischer feministischer Bewegungen. Der Begriff klingt am Anfang vielleicht etwas sperrig, die Bedeutung ist aber keine Wissenschaft. Weil intersektionale Perspektiven auf Diskriminierung und Globale Ungerechtigkeit unerlässlich sind, erklärt dieser Blogbeitrag, was Intersektionalität überhaupt bedeutet und warum sie so wichtig ist.

Überschneidung und Zusammenwirken von Diskriminierungsformen

Mit dem Konzept der Intersektionalität sind die Überschneidungen und das Zusammenwirken von verschiedenen Diskriminierungsformen gemeint.  Der Begriff an sich kommt aus dem Englischen. “Intersection” bedeutet Kreuzung, Intersectionality oder Intersektionalität beschreibt eine Art Überkreuzung – also, dass Diskriminierungsformen in unserer Gesellschaft oft miteinander zusammenhängen und nicht getrennt voneinander stattfinden. Diskriminierungsformen sind zum Beispiel Klassismus, Rassimus, Sexismus, Antisemitismus, Ableismus, Altersdiskriminierung oder Queerfeindlichkeit. Deshalb wird oft auch von Mehrfachdiskriminierung gesprochen. Die verschiedenen Diskriminierungserfahrungen werden dabei aber nicht einfach zusammengerechnet. Beim Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsformen entsteht nämlich eine spezifische Form der Unterdrückung. Wer zum Beispiel Schwarz und queer ist, erlebt Rassismus und Queerfeindlichkeit. Queerfeindlichkeit zeigt sich bei Schwarzen Menschen anders als bei weißen. Ableismus sieht bei Menschen, die viel Geld haben, anders aus als bei armen.

Prägung des Begriffs durch Kimberlé Crenshaw

Der Begriff der Intersektionalität wurde erstmals 1989 von der Juristin Kimberlé Crenshaw genutzt und geht zurück auf eine arbeitsrechtliche Klage, die nach einer Entlassungswelle von Schwarzen Arbeiter*innen bei General Motors veranlasst wurde. Das Unternehmen konnte weder für Rassismus noch Sexismus belangt werden, denn weder Schwarze Männer*, noch weiße Frauen* wurden entlassen. Dass es sich hierbei aber nicht um eine Entlassungswelle handelt, bei der die entlassenen Arbeitnehmer*innen zufällig ausgewählt wurden, zeigt sich durch einen intersektionale Analyse. Die Diskriminierung lässt sich bei diesem Beispiel nämlich nicht getrennt auf die Kategorien gender oder race beziehen, sondern auf ihre Intersektion, also Überschneidung.

Strukturelle Benachteiligung: Beispiel pay gap

Bei dem Zusammenwirken von Diskriminierungsformen findet nicht nur eine interpersonelle Benachteiligung statt. Sondern auch eine, die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen innewohnt. Ein Beispiel dafür ist der Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung oder auch dem Wohnungsmarkt. Die Verfügbarkeit von Sicherheit und Stabilität zählt auch dazu. Das passiert in Deutschland genauso wie auf der ganzen Welt. Deutlich wird das, wenn wir uns das Thema Lohngerechtigkeit anschauen. Frauen* verdienen weltweit weniger als Männer*. In den USA wurde bei einer Untersuchung festgestellt, dass Frauen* im Jahr 2021 insgesamt 0,82 Dollar für jeden ganzen Dollar, den Männer* verdienen, bekommen. Wenn nicht nur die Kategorie gender, sondern auch race miteinbezogen wird, dann zeigt sich: hispano- und lateinamerikanische Frauen* bekommen nur 0,58 und Schwarze Frauen 0,63 Dollar pro ganzen Dollar, den ein weißer Mann* verdient (U.S. Government Accountability Office). In Deutschland sind diese Daten noch nicht ausreichend erforscht. Laut dem Verband “DaMigra” liegt die Lohnlücke zwischen weißen Frauen* ohne Migrationshintergrund und Migrantinnen aber bei etwa 20 Prozent. In Deutschland wird Arbeit im Niedriglohnsektor und der Sorgearbeit mehrheitlich von Frauen* mit Migrations- und Fluchtgeschichte ausgeführt (DaMigra e.V.). Diese Daten aus den USA und aus Deutschland zeigen, dass nicht nur das Geschlecht Auswirkungen darauf hat, wie Menschen entlohnt werden oder welche Jobs sie haben. Auch die (vermeintliche) Herkunft spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Globale Zusammenhänge

Das zeigt sich auch, wenn wir die globale Verteilung von Wohlstand auf der Welt in den Blick nehmen. In Ländern des Globalen Nordens gibt es mehr Wohlstand als in Ländern des Globalen Südens. Das hat viel mit andauernden Kolonialitäten, einer internationalen Arbeitsteilung und Ausbeutung zu tun. In Ländern des Globalen Südens sind Menschen auch am stärksten von Armut, Hunger und Krankheiten betroffen. Das wirkt sich auf verschiedene Personengruppen unterschiedlich aus. Frauen* und Mädchen* sind stärker davon betroffen. Genauso wie Menschen mit Behinderungen oder queere Personen. Diese erleben nämlich unterschiedliche Formen der Diskriminierung, die sich überkreuzen. Global gesehen sind zum Beispiel Frauen* und Mädchen* sehr viel wahrscheinlicher von extremer Armut betroffen, als Männer*. Von den 690 Millionen Menschen weltweit, die keinen sicheren Zugang zu Ernährung haben, sind 60 Prozent Frauen* und Mädchen* (World Food Program). Auch von der Klimakrise sind Frauen* besonders stark betroffen. Warum das so ist, könnt ihr hier lesen.

Intersektionalität: und jetzt?

Also wofür brauchen wir den Begriff der Intersektionalität jetzt überhaupt? Zum einen, um Diskriminierung auf individueller Ebene richtig greifen zu können. Es ist wichtig zu verstehen, dass viele Menschen verschiedene Formen der Diskriminierung gleichzeitig erfahren und damit von spezifischen Formen der Unterdrückung betroffen sind. Außerdem hilft uns ein intersektionaler Blick zu verstehen, wer besonders stark von globaler Ungleichheit betroffen ist. Worum es nicht geht: interpersonelle Diskriminierung oder strukturelle Benachteiligung in eine Rangfolge zu bringen. Wenn wir von Mehrfachdiskriminierung sprechen, heißt das nicht, dass bestimmte, sich kreuzende Diskriminierungsformen schlimmer oder weniger schlimm als andere sind. Es bedeutet aber anzuerkennen, welche Personengruppen in unserer Gesellschaft am verletzlichsten sind. Damit kann ein gezieltes Empowerment erfolgen und auch strukturelle Probleme besser bekämpft werden.

Aktiv werden

Dafür braucht es im Kleinen die kritische Auseinandersetzung mit unserer gesamtgesellschaftlichen Positionierung und den daraus entstehenden Privilegien sowie internalisierten Diskriminierungsmustern, -dynamiken und -strukturen. Auch die Betrachtung spezifischer Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse, die sich in Deutschland sowie weltweit finden lassen, ist notwendig. Damit kann eine intersektionale Analyse in die eigene politische Praxis integriert werden. Zum Beispiel fordert ONE die Bundesregierung in der Petition Feminismus Global dazu auf, ihren Teil zu einer weltweiten Gleichstellung der Geschlechter beizutragen.

Passend dazu

Was Aktivistinnen über Feminismus denken: 5 Fragen an Mariama Abdou Gado

Was Aktivistinnen über Feminismus denken: 5 Fragen an Mariama Abdou Gado

Was Aktivistinnen über Feminismus denken: 5 Fragen an Hanna Lemma

Was Aktivistinnen über Feminismus denken: 5 Fragen an Hanna Lemma

Was Aktivistinnen über Feminismus denken: 5 Fragen an Blandine Umuziranenge

Was Aktivistinnen über Feminismus denken: 5 Fragen an Blandine Umuziranenge