Autorin: Leah Missbach Day ist Fotografin und Mitgründerin der internationalen Hilfsorganisation World Bicycle Relief. Übersetzung aus dem Englischen von Lena Kleine-Kalmer, World Bicycle Relief.
Es ist 5.30 Uhr und Ayans Wecker klingelt. Früher war die Schülerin aus Kenia um diese Zeit bereits seit eineinhalb Stunden auf den Beinen, um ihren Schulweg anzutreten. „Jetzt kann ich viel länger schlafen. Ich fahre mittlerweile mit dem Fahrrad und brauche nur noch ein Viertel der bisherigen Zeit”, erzählt die 16-Jährige zufrieden.
Ayan gehört zu den Jugendlichen und Kindern, die 2016 am BEEP Programm der internationalen Hilfsorganisation World Bicycle Relief (WBR) teilgenommen haben. BEEP steht für „Bicycles for Educational Empowerment Program“: Im Rahmen des Programms bekommen Schüler*innen ein von WBR speziell für den Einsatz in unwegsamen Gelände entwickeltes, robustes Buffalo-Fahrrad. Im Gegenzug verpflichten sie sich, ihre Schullaufbahn vollständig abzuschließen. Weil Mädchen auch im Bildungsbereich besonders stark benachteiligt sind, gehen 70 Prozent der Räder immer an Mädchen.
Seit sie ihre Buffalo-Räder haben, kommen die Schüler*innen der Umoja Schule in Eldoret, einer Stadt im Westen Kenias, deutlich schneller zur Schule. Ein wichtiger Effekt: „Meine Noten sind nun richtig gut”, erzählt Ayan stolz. Die Fahrräder eröffnen auf diese Weise neue Zukunftsperspektiven.

©World Bicycle Relief
Der Schulweg ist weit
Da es in den ländlichen Regionen Kenias – wie in vielen anderen afrikanischen Ländern – keine sicheren und verlässlichen Verkehrsmittel gibt, haben viele Schüler*innen wie Ayan keine andere Wahl, als zu Fuß zur Schule zu laufen. Aber die Entfernungen sind groß, so dass die Kinder und Jugendlichen häufig zu spät kommen, schon bei Unterrichtsbeginn erschöpft sind oder ganz fehlen. Klar, dass sich das negativ auf ihre schulischen Leistungen auswirkt. Fahrräder stellen für die Schüler*innen ein sicheres und schnelles Transportmittel dar. Und wer zur Schule radeln kann, spart noch dazu Energie, die man zum Lernen braucht.
Für ihre Zukunft hat Ayan große Pläne: „Nach der Schule möchte ich die Welt zu einem besseren Ort machen. Damit auch diejenigen, die das Leben leid sind, es wieder positiv sehen.“
An der Umoja Schule werden rund 800 Schüler*innen unterrichtet – viele von ihnen leben in den armen Bezirken im weiten Umkreis der Schule. Umoja wurde zwar von Christ*innen gegründet, legt jedoch viel Wert auf eine vielfältige Gesellschaft. Die Schule nimmt Kinder und Jugendliche verschiedenster Herkunft auf, egal ob mit muslimischen oder christlichen Glauben.
„Wenn ich als muslimisches Mädchen Rad fahre, fragen mich viele, wie das geht”
In ihrem Dorf war Ayan das erste Mädchen, das Fahrrad fuhr. Ihre Familie hatte keine Bedenken deswegen. Die kulturellen Erwartungen innerhalb ihrer Gemeinschaft waren aber dennoch ein Thema. „Wenn ich als muslimisches Mädchen Rad fahre, fragen mich viele Leute, wie das geht. Das überrascht mich.“ Trotzdem lässt sich Ayan nicht von ihrer Überzeugung abbringen. „Die Tatsache, dass ich Rad fahre, hat viele andere muslimische Mädchen dazu ermutigt, es mir gleichzutun.“

© World Bicycle Relief
Durch die Fahrräder bekommen die Mädchen ein ganz neues Selbstvertrauen. „Es fühlt sich gut an, dass ich Teil der Bewegung bin, die unsere Kultur ändert, und die den Mädchen zeigt, dass jeder Radfahren kann. Es ist mir egal, was die Leute sagen. Ich bin diejenige, die von diesem Fahrrad profitiert. Das Wichtigste, was jeder tun kann, ist für seine Rechte aufzustehen.“ Denn letztlich, findet Ayan, sei es doch so: „Ohne Bildung ist kein Leben möglich. Ohne Bildung ist nichts. Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Das Fahrrad hilft dabei, dass sie diesen Weg gehen – oder besser gesagt: radeln kann.