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Vielfalt auf Feldern und Tellern

Der Weg aus Ernährungs- und Klimakrisa

Dies ist ein Gastbeitrag von Stefan Schmitz, Leiter des Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt (CROP TRUST). Der CROP TRUST, eine internationale Stiftung mit Sitz in Bonn, setzt sich für die Bewahrung der Vielfalt von Nutzpflanzen ein und unterstützt Erhalt und Betrieb der wichtigsten Saatgutbanken im globalen Süden. Die Konservierung und Nutzung dieser Vielfalt ist ein zentraler Schlüssel zur Sicherung der Ernährung im Klimawandel.

Warum Nutzpflanzenvielfalt?

Die Vielfalt von Nutzpflanzen ist für künftige Ernährungssicherheit unerlässlich. Ohne Nutzung dieser Vielfalt wird es nicht mehr möglich sein, die Menschheit im Klimawandel ausreichend und gesund zu ernähren – und dies mit einer Landwirtschaft, die umweltverträglicher ist als heute.

Weizen, Mais und Reis – diese drei Nutzpflanzen steuern heute mehr als 60% zur gesamten Welternährung bei. Viele andere Pflanzen, oft wenig beachtet, manchmal vom Aussterben bedroht, könnten den Speiseplan bereichern, eine abwechslungsreichere und gesündere Ernährung bieten. Einige dieser Pflanzen wie etwa Hirse benötigen zum Wachsen auch deutlich weniger Wasser. Neue Pflanzensorten, die auf Basis der vorhandenen und erhaltenen Vielfalt gezüchtet werden, können widerstandsfähiger gegen Hitze und Trockenheit oder gegen neue Schädlinge und Pflanzenkrankheiten sein.

Komplexe Reisterrassen, die von Bächen bewässert werden, befinden sich in verschiedenen Erntephasen. Die Betsileo-Gemeinden sind für ihre aufwendige Landschaftsgestaltung bekannt, die bis hoch in die Hügel ragt. © Toby Smith/Reportage von Getty Images für den Crop Trust.

Nur Wiederentdeckung von Vielfalt und Erzeugung neuer Vielfalt aus vorhandener Vielfalt ermöglicht eine Landwirtschaft, die an jeweilige lokale Verhältnisse angepasst ist. Viele Länder werden nur auf dieser Basis in der Lage sein, eine eigenständige, selbstverantwortete und leistungsfähige Landwirtschaft aufzubauen, die sie langfristig unabhängig von Nah-rungsmittelimporten macht. Größere Unabhängigkeit vom Weltmarkt trägt zur Vermeidung von Hungerkrisen bei.

Eine produktive Landwirtschaft durch wiederendeckte und neu gezüchtete Vielfalt fördert damit auch die Überwindung von Armut im ländlichen Raum, die in vielen Ländern des Südens verbreitet ist. Etwa durch Nutzung von solchen Sorten, die höhere Erträge liefern, bessere Lagerungs- und Verarbeitungseigenschaften besitzen oder weniger Dünger benötigen.

Wiederendeckte und neu gezüchtete Vielfalt kann auch solche Produkte auf den Teller bringen, die reicher an Mikronährstoffen und damit wertvoller für die menschliche Ernährung sind. Dies wird umso dringender, als bereits heute viele der herkömmlichen Nutzpflanzensorten unter steigenden Temperaturen nachweislich ihre Nährstoffgehalte einbüßen.

Pflanzen, die im Anbau weniger Wasser und Dünger benötigen, wären der richtige Weg zu einer umweltverträglicheren Landwirtschaft. Höhere Erträge pro Hektar durch neu gezüchtete Pflanzensorten verhindern auch, dass Kleinbauernfamilien ihre Anbauflächen ausdehnen und dabei aus purer Not Wälder und andere Naturräume zerstören. Und schließlich erleichtert ein höherer Proteingehalt von Nahrungspflanzen die Umstellung von einer stark fleischbasierten auf eine überwiegend pflanzlich basierte Ernährung.

Farbenfrohe Maissorten werden beim ‘Wettbewerb zum Größten Maiskolben der Welt’ in Jala, Mexiko zur Schau gestellt. © Shawn Landersz/Crop Trust.

Nutzpflanzenvielfalt ist massiv bedroht

Die Nutzpflanzenvielfalt, eine unserer wichtigsten Lebensversicherungen, ist auf breiter Front bedroht. Erstens ist Nutzpflanzenvielfalt, oder besser gesagt die Vielfalt der wilden Artverwandten unserer heutigen Nutzpflanzen, in ihren natürlichen Lebensräumen bedroht. Mit jedem Quadratkilometer an tropischem Regenwald, der gerodet wird, an Savanne, die degradiert, an Naturlandschaften, die Siedlungs- und Infrastrukturflächen weichen, verschwinden auch unzählige wilde Artverwandte von Nutzpflanzen. Diese besitzen aber möglicherweise genau die genetische Eigenschaften, die ein Schlüssel für die Züchtung neuer Nutzpflanzensorten sind, die widerstandsfähiger gegen harsches Klima oder neue Pflanzenkrankheiten und Schädlinge sind.

Zweitens ist Nutzpflanzenvielfalt auf den Feldern bedroht. Überall auf der Welt macht eine ehemals große Diversität an „alte Sorten“, Ergebnis jahrtausendelanger Landwirtschaft, einer kleinen Zahl an marktgängigen „hochgezüchteten“ Sorten Platz. Dies ist nicht nur ein Verlust an Vielfalt, der unmittelbar sichtbar ist. Während die Erbanlagen alter „Landrassen“ sehr vielfältig und von Pflanzen zu Pflanze unterschiedlich waren, keine Ähre der benachbarten glich, sind heutige Qualitätssorten genetisch sehr homogen. Dies ist züchterisch gewollt und hat erheblich zur Möglichkeit der Industrialisierung der Landwirtschaft – und damit auch zu wirtschaftlicher Entwicklung und Wohlstand in Teilen der Welt – beigetragen. Die Kehrseite, die „genetische Erosion“, darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden.

Die Anstrengungen müssen verstärkt werden, Nutzpflanzenvielfalt in der Natur und auf den Feldern zu erhalten. Dies allein reicht aber nicht. Der Verlust in der Natur und in den Feldern lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vollständig stoppen. Sofern nicht bereits geschehen, muss von dort gerettet werden, was noch zu retten ist, und in Saatgutbanken dauerhaft eingelagert werden. Solche Saatgutbanken gibt es überall auf der Welt. Insgesamt sind es mehr als 1.750, etwa 130 von ihnen mit mehr als 10.000 Saatgutproben gelten als besonders bedeutend. Aber leider sind viele der Saatgutbanken im Süden chronisch unterfinanziert und in einem katastrophalen Zustand.

Damit ist drittens die Nutzpflanzenvielfalt auch selbst dort gefährdet, wo man eigentlich von ihrem besonderen Schutz ausgehen sollte, in den Saatgutbanken. Gesammelte und eingelagerte Schätze an wilden Artverwandten unserer heutigen Nutzpflanzen, alte Sorten, vernachlässigte und bislang zu wenig beachtetet Sorten drohen unwiederbringlich verloren zu gehen. Und solange das Geld selbst für die elementare Konservierung dieser Schätze in vielen Saatgutbanken nicht reicht, muss deren Nutzbarmachung für Züchtung und Anbau im Feld erst recht Utopie bleiben.

Das Kühllager des Instituts für landwirtschaftliche Genetik in Hanoi, Vietnam ist mit Maniok-Setzlingen gefüllt. Diese werden verwendet, um neue Sorten zu züchten, die gegen Schädlinge und Krankheiten resistent sind. © Brent Stirton/Reportage von Getty Images für den Crop Trust.

Die Rolle des Crop Trust

Der Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt in Saatgutbanken, ihre Nutzbarmachung für Züchtung und Anbau sowie die Stärkung des öffentlichen Bewusstseins über ihre große Bedeutung sind Kernanliegen des Crop Trust. Der Crop Trust ist aktiver Fürsprecher und Unterstützer von ländlicher Entwicklung, von Armuts- und Hungerbekämpfung sowie von leistungsfähi-ger, eigenständiger und importunabhängiger Landwirtschaft im globalen Süden, vor allem in Zeiten eines beschleunigten Klimawandels.

Der Crop Trust kann gegenwärtig Gutes tun, besitzt aber bei Weitem noch nicht ausreichende finanzielle Mittel, seine Aufgaben ganz zu erfüllen. Täglich droht überall auf der Welt der unwiederbringliche Verlust von Nutzpflanzenvielfalt und damit der Schwächung einer unserer wichtigsten Lebensgrundlagen. Die weitere Stärkung des Crop Trusts und seiner finanziellen Möglichkeiten ist daher ein wichtiger Beitrag zur Bewahrung und zur gerechten Nutzung eines der wichtigsten globalen öffentlichen Güter.

Verscheidene Samenkörner aus dem International Crops Research Institute for the Semi-Arid Tropics (ICRISAT) in Hyderabad, Indien. © Michael Major/Crop Trust.

Erhalt von Nutzpflanzenvielfalt, Teil nachhaltiger und gerechter globaler Strukturpolitik

Es gibt kaum einen Lebensbereich, in dem internationale Zusammenarbeit so elementar wichtig für das Überleben der Menschheit ist wie im Bereich des Erhalts von Nutzpflanzenvielfalt und ihrer Anwendung. Der Internationale Saatgutvertrag, unter dessen Dach der Crop Trust operiert, stellt hierfür eine sehr wichtige Grundlage dar. Dieser Saatgutvertrag bedarf der Weiterentwicklung, nicht zuletzt wegen der sich immer wieder neu stellenden Fragen eines ungehinderten Zugangs zu pflanzengenetischen Ressourcen und eines gerechten Vorteilsausgleichs, und dies bei immer weiter steigender Bedeutung digitaler Sequenzinformationen für die Pflanzenzüchtung. Gleichzeitig muss erreicht werden, dass verschiedene Politikbereiche für eine Welt ohne Hunger und eine Welt mit nachhaltiger Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten. Dies sind vor allem Agrarpolitik, Entwicklungspolitik, Außen- und Sicherheitspolitik, Forschungspolitik, Wirtschafts- und Klimaschutzpolitik.

Du möchtest dich auch für weltweite Ernährungssicherheit einsetzen? Dann unterzeiche jetzt unsere Petition und fordere die Politik zum Handeln auf! 

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