1. Startseite
  2. Neuigkeiten
  3. Wie eine Frau in Südafrika sich den Geschlechterrollen der Landwirtschaft widersetzt

Wie eine Frau in Südafrika sich den Geschlechterrollen der Landwirtschaft widersetzt

Unsere Gastautorin Megan Gieske ist eine Schriftstellerin und Fotografin, die in Kapstadt, Südafrika lebt.

Eine Autostunde von Johannesburg entfernt, werden der Beton und die Wolkenkratzer der Großstadt von einer bernsteinfarbenen Hügellandschaft abgelöst. Hier liegt Tarlton. In dieser kleinen Provinzstadt hat sich Vutlhari Chauke, die Frau hinter dem landwirtschaftlichen Betrieb VT Harvest, dem Kampf gegen traditionelle Geschlechterrollen und Disempowerment verschrieben – und sie nimmt andere Frauen mit auf ihre Reise.

Entlang einer langen staubigen Straße zeichnen sich zehn Gewächshäuser vor dem Licht der schräg stehenden Nachmittagssonne ab. Frauen beugen sich über Rucola, Minze, Koriander, Petersilie und Beete mit Paprika und Knoblauch. Sie jäten Unkraut, bereiten die kommende Ernte vor und pflanzen neue Setzlinge.
Für Vutlhari bietet die Landwirtschaft Frauen die Möglichkeit, unabhängig zu werden, ihre Familien zu versorgen und einen Beitrag zu ihren Gemeinden zu leisten. Genau das treibt Vutlhari in ihrer Arbeit an.

„Hilfst du einer Frau, hilfst du ihrer Familie“

Vutlharis Motto lautet: „Hilfst du einer Frau, hilfst du ihrer Familie“. Deshalb beschäftigt sie ausschließlich Frauen. Vier Frauen arbeiten regelmäßig für sie; fünf weitere kommen während der Pflanzsaison dazu. „Weil ich eine Frau bin, möchte ich viel mehr Frauen einstellen, weil ich weiß, dass sie von dem wenigen Geld, das sie bekommen, Maismehl, Milch und Schuhe [für ihre Familien] kaufen werden“, sagt Vutlhari. „Das hat einen positiven Einfluss auf Generationen“.
Wenn eine Frau in der Lage ist, sich selbst und ihre Familie zu versorgen, verändert sich alles. Studien zeigen, dass Frauen bis zu 90 Prozent ihres Einkommens in ihre Familien und Gemeinden reinvestieren, Männer dagegen nur 35 Prozent. Mütter sorgen für eine bessere Ernährung und Gesundheitsversorgung und geben mehr Geld für ihre Kinder aus. Dadurch ergeben sich langfristig soziale und wirtschaftliche Vorteile. Laut einer Studie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, gäbe es weltweit 150 Millionen weniger hungernde Menschen, wenn Frauen denselben Zugang zu landwirtschaftlichen Ressourcen hätten wie Männer.

Vutlhari weiß um diese Auswirkungen der Landwirtschaft auf Frauen und Familien. Davon ist sie inspiriert. Deshalb ist ihr Agrarbetrieb VT Harvest speziell auf die Bedürfnisse von Frauen ausgerichtet. An manchen Tagen bringt Vutlhari sogar ihren zweijährigen Sohn mit zur Arbeit. Vor der Hütte, in dem das Büro untergebracht ist, liegen noch Bälle und Spielzeug von seinem Besuch am Vortag. Manchmal bindet Vutlhari ihren Sohn mit einem Handtuch auf ihren Rücken, während sie die anderen Frauen – ebenfalls Mütter – bei der Arbeit beaufsichtigt. „Die meisten der Frauen sind alleinerziehend. Wenn ich ihnen die Möglichkeit gebe, gut für ihre Kinder zu sorgen, hat das enorme Auswirkungen auf die nächste Generation dieser Familien“, sagt Vutlhari.

Die Landwirtschaft ist noch immer hauptsächlich eine Männerdomäne. Das habe Vutlhari ermutigt, anderen Frauen – vor allem Schwarzen – die Chance zu geben, in diesem Sektor beruflich Fuß zu fassen. Auch wenn 60 bis 80 Prozent der Kleinbauer*innenn in den Ländern südlich der Sahara Frauen sind, machen sie nur 15 bis 20 Prozent der Grundbesitzer*innen aus. Zudem befinden sich 70 Prozent der Agrarflächen in Südafrika laut einer Erhebung aus dem Jahr 2017 im Eigentum der weißen Bevölkerung des Landes, obwohl 90 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung People of Color sind. „Wir haben die Chance, die nächste Generation von Landwirtinnen heranzuziehen“, sagt Vutlhari.

Geschlechterrollen in der Landwirtschaft hinterfragen

In den Folientunneln hängen, geschützt vor der heißen südafrikanischen Sonne, Trauben von Tomaten an dicken Pflanzen, die bis zur Decke ranken. In Gummistiefeln und Gartenhandschuhen kämpft Vutlhari gegen typische Geschlechterrollen in der Landwirtschaft, indem sie mit ihren Betrieb generationsübergreifenden Wohlstand schafft – für sich und ihren Sohn, aber auch für die Frauen, die für sie arbeiten. Ihre Botschaft an andere Frauen lautet: „Ihr könnt das auch“.

„Wer als Frau in der Landwirtschaft Fuß fassen möchte, kann das schaffen“, sagt Vutlhari. Sie wuchs als einziges Mädchen von fünf Geschwistern in der ländlich geprägten Provinz Limpopo in Südafrika auf. „Schon als kleines Mädchen wusste ich, dass ich eines Tages Unternehmerin werden wollte“, sagt sie. „Ich hatte große Träume“. Spätestens mit 30 wollte sie selbständig sein. Als ihr 30. Geburtstag näherkam, bereitete sie sich darauf vor, ihren Beruf als Produktentwicklungsmanagerin in einem Unternehmen in Sandton an den Nagel zu hängen. Als sie in verschiedenen Branchen speziell nach Möglichkeiten für Schwarze Frauen suchte, bot sich in erster Linie die Landwirtschaft an.

 

 

„Der erste Betrieb, [den ich besuchte,] wurde von einer Frau geführt“, erzählt Vutlhari. Das habe ihr die Zuversicht gegeben, dass auch sie es schaffen könne, in der Landwirtschaft erfolgreich zu sein. „Wenn diese Frau es geschafft hatte, was sollte mich daran hindern?“, sagt Vutlhari.

Drei Monate lang besichtigte sie jede Woche landwirtschaftliche Betriebe außerhalb von Johannesburg, bis ein Landwirt bereit war, ihr ein Stück Land für ihre ersten fünf Folientunnel zu verpachten. „Solange hat es gedauert“, sagt sie. „Ich musste mich erst beweisen, bevor die Leute mich ernst nahmen“.

Heute, vier Jahre später, beliefert sie Restaurants und große Ketten wie McDonald‘s mit Tomaten – auch dank einem Global Gap Certificate für nachhaltige Landwirtschaft. Außerdem beliefert sie Straßenhändler*innen direkt mit den gewünschten Erzeugnissen. „Wenn ich diesen Menschen die Produkte liefern kann, die sie benötigen, um ihre Familien zu versorgen, ergibt sich eine Art positiver Dominoeffekt“, sagt Vutlhari. „Die indirekten Beschäftigungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft sind enorm.“

„Weil es nur wenige Frauen in der Landwirtschaft gibt, sind Unternehmen eher bereit, Betriebe zu unterstützen, die ihre Ressourcen nutzen, um zu einer besseren Gesellschaft beizutragen. So öffnen sie beispielsweise Märkte für dich, die eigentlich bestimmten Kund*innen vorbehalten sind.“

Viele Leute seien überrascht und eher bereit zu helfen, wenn sie im Agrarsektor einer Frau begegnen. Als Frau hebe man sich vom Wettbewerb ab und dadurch entstehe die Chance für andere Frauen, ebenfalls einen Fuß in die Tür zu bekommen.

„Irgendwann erkannte ich, dass es besser ist, einen eigenen Tisch zu decken, anstatt darauf zu warten, an einem fremden Tisch Platz nehmen zu dürfen. Ich bin eine gebildete Schwarze Frau“, sagt Vutlhari, die einen Master of Business Administration absolviert hat. „Das war der Punkt, an dem es für mich begann.“ „Wenn ich meinen eigenen Tisch decke, kann ich selbst entscheiden, wer daran Platz nehmen darf, und in meinem Fall ist das wahrscheinlich eine andere Frau“.

Was würde Vutlhari anderen jungen Frauen und Mädchen raten, die den Sprung in eine “Männerdomäne” wagen wollen?

„Scheut euch nicht davor, klein anzufangen. Auch ich habe klein angefangen. Alles begann mit ein paar Topfpflanzen bei mir zu Hause. Dadurch habe ich erkannt, dass ich einen grünen Daumen habe.“ In ihrer Muttersprache Xitsonga bedeutet Vutlhari „Weisheit“ und genau die gibt sie an Frauen weiter, die ebenfalls in der Landwirtschaft Fuß fassen möchten. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, sagt sie. „Klein zu träumen war noch nie meine Stärke. Wer seine Ziele erreichen will, muss groß träumen und klein anfangen – egal, wo man steht.“

 

Beiträge wie dieser interessieren dich? – Dann tragt dich auf unseren Verteiler ein und erhalte einmal im Monat einen Überblick unserer neusten Blogbeiträge.

Passend dazu

An vorderster Front der Klimaanpassung: Tansanias Meeresalgen-Bäuerinnen

An vorderster Front der Klimaanpassung: Tansanias Meeresalgen-Bäuerinnen

Indigene Völker und die Klima- & Ernährungskrise

Indigene Völker und die Klima- & Ernährungskrise