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Staatsverschuldung – was beim Kampf gegen extreme Armut im Weg steht

Politische Analyse

Staatsverschuldung ist ein entscheidender Faktor für extreme Armut. Eine sehr hohe Staatsverschuldung ist oft ein Hauptgrund, warum nachhaltige Entwicklung zu scheitern droht. Gleichzeitig ist das Thema Schulden schwer greifbar und wirkt häufig kompliziert. Deshalb erklären wir hier ein paar Grundsätze der Staatsverschuldung. Und wir zeigen auf, was sich ändern muss.

Wie funktioniert Staatsverschuldung?

Die Staatsverschuldung umfasst alle finanziellen Schulden, die ein Staat gegenüber Dritten hat. In der Regel stellen Kredite nach den Steuereinnahmen die zweitgrößte Einnahmequelle eines Staates dar: Fast alle Staaten weltweit sind verschuldet, allerdings mit großen Unterschieden bei der Größe der Schuldenlast. Grundsätzlich kann Staatsverschuldung sehr sinnvoll sein, beispielsweise um Investitionen zu tätigen, von denen der Staat später profitieren kann.

Wenn wir Staatsverschuldung vergleichen wollen, benutzen wir als Maßstab die Schuldenstandsquote. Diese errechnet sich aus dem Verhältnis von Verschuldung zur Wirtschaftsleistung des Landes (nominales Bruttoinlandsprodukt). So wird angegeben, wie hoch ein Land proportional zur nationalen Wirtschaftskraft verschuldet ist. Länder mit einem hohen Bruttoinlandsprodukt können deutlich mehr Schulden stemmen, ohne das Risiko einzugehen, zahlungsunfähig zu werden.

Was ist das Problem?

Wenn ein Staat zu hoch verschuldet ist, wird die Verschuldung zum essenziellen Problem. Ein steigender Teil der Steuereinnahmen muss für Zinszahlungen und Schuldentilgung aufgewendet werden. Somit bleibt immer weniger Geld für notwendige Investitionen in die eigene Gesellschaft. Nigeria zum Beispiel hat 2020 23% seines Bundeshaushaltes für den Schuldendienst ausgegeben – beinahe doppelt so viel wie für Gesundheit und Bildung zusammen. Es kann sich ein Teufelskreis ergeben: Um die steigenden Ausgaben infolge der bereits bestehenden Verschuldung zu begleichen, müssen neue Schulden aufgenommen werden.

Wird die Verschuldung zu hoch, beginnen die Gläubiger (also die Kreditgeber) an der Rückzahlungsfähigkeit eines States zu zweifeln. Wird die Zahlungsfähigkeit eines Staates infolge hoher Verschuldung angezweifelt, führt das zu weiteren Problemen: Betroffene Staaten müssen im Allgemeinen höhere Zinssätze zahlen, wenn sie neue Kredite aufnehmen wollen. Gleichzeitig sind weniger Investor*innen bereit, überhaupt noch Kredite zu vergeben.

Ein Beispiel…

Ein kurzes, sehr vereinfachtes Beispiel , um das Problem zu verdeutlichen: Stell dir vor, du hast einen längeren Verdienstausfall aufgrund einer Corona-Erkrankung. In deiner Not musst du einen Kredit bei der Bank aufnehmen, um deine Familie weiter versorgen zu können. Eigentlich hattest du damit gerechnet, das Geld schnell zurückzahlen zu können. Aber die Erholung von der Krankheit dauert und du kannst lange nicht arbeiten.

Endlich geht es dir wieder besser. Die Suche nach einem neuen Job gestaltet sich aber schwieriger als erwartet. Auch die Wirtschaft hat unter der Pandemie gelitten. Die Bank wird langsam ungeduldig und will ihr Geld zurückhaben – natürlich inklusive Zinsen. Es wird eng: Du überlegst schon, einen neuen Kredit aufzunehmen. Den will dir die Bank aber nicht mehr geben. Dafür hast du endlich einen neuen Job gefunden. Damit wirst du gerade genug verdienen, um deine Familie durchzubringen. Mit dem Schuldenberg, den du dazu abbezahlst, ist die Klassenfahrt für deine Tochter aber erstmal gestrichen. Da du einige Zahlungen verpasst hast, hast du inzwischen auch einen Schufa-Eintrag. Das bedeutet, dass du in Zukunft nicht so leicht einen Kredit bekommen wirst – denn die Bank sieht ein Risiko, das Geld nicht zurückzubekommen.

Idealerweise würde hier natürlich der Staat eingreifen und dich unterstützen. Auf internationaler Ebene gibt es aber keine vergleichbare Institution. Das Problem ist ähnlich: Je weniger finanzielle Sicherheit du hast, umso schwieriger ist es, einen Kredit zu bekommen. Wenig finanzielle Sicherheit heißt aber eben auch, dass häufig die Grundversorgung nicht mehr gesichert ist. Dabei ist es gerade in Notsituationen oft von entscheidender Bedeutung, dass Einzelpersonen und eben auch Länder genügend Finanzmittel erhalten, um zumindest das Wichtigste bezahlen zu können. Und das, ohne danach vor dem finanziellen Ruin zu stehen. Gerade hier braucht es also Schuldenentlastungen in Form von Hilfsgeldern, die nicht erneut mit hohen Zinsen verbunden sind.

Staatsverschuldung und Kolonialismus

Schulden sind nicht einfach nur die Folge von Wirtschaftseinbrüchen, Korruption und Fehlentscheidungen: Von einer hohen Staatsverschuldung sind besonders Länder betroffen, die in der Vergangenheit von einer Kolonialmacht beherrscht wurden. Während der Kolonialzeit lieferten sie Rohstoffe für den Weltmarkt und importierten gleichzeitig Fertigprodukte von den Kolonialmächten. Die Entwicklung einer eigenen Industrie war somit kaum möglich. Gleichzeitig spielten ihre Interessen in der Gestaltung des Weltwirtschaftssystems keine Rolle. Noch heute haben vor allem europäische Staaten und die USA in globalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds überproportional viel Einfluss. Sie können den globalen Finanzmarkt somit ihren Interessen entsprechend gestalten. So überrascht es wenig, dass vor allem Länder im globalen Süden in diesem System oft zu kurz kommen . Wirtschaftskraft und Staatsverschuldung sind also untrennbar mit postkolonialen Strukturen verbunden. Bereits im Jahr 1987 sagte der damalige Präsident Burkina Fasos, Thomas Sankara: “Schulden sind Neokolonialismus.“

Welche Länder sind besonders hoch verschuldet?

Mehr als die Hälfte der Niedrigeinkommensländer, denen ein Verschuldungsnotstand droht, liegen in Afrika. Die Verschuldung dort ist auf dem höchsten Stand seit über zehn Jahren: Die Gesamtschuldenlast des Kontinents beträgt 625 Milliarden US-Dollar. Allein in diesem Jahr müssen afrikanische Länder 64 Milliarden US-Dollar an Schulden zurückzahlen. Das ist zwei Mal so viel Geld wie alle entwicklungsbezogenen Unterstützungsleistungen zusammen. Dreiundzwanzig afrikanische Länder sind aktuell entweder im Verschuldungsnotstand oder hochgradig davon bedroht. Da der Schuldendienst einen immer größeren Teil der Finanzhaushalte verschlingt, wird es in den ärmsten Ländern der Welt wahrscheinlich bald zu einer Welle von Zahlungsausfällen kommen.

Dies hängt auch mit den multiplen Krisen zusammen, die wir aktuell beobachten. Bewaffnete Konflikte, die Corona-Pandemie und der Klimawandel stellen für ärmere Länder in Afrika schon jetzt existentielle Herausforderungen dar. Allein die Coronapandemie hat den Kontinent geschätzt 115 Milliarden Dollar an entgangener Wirtschaftsleistung gekostet. Gleichzeitig rückt ein wirtschaftlicher Aufschwung in Afrika zunehmend in die Ferne.

Warum brauchen wir eine Umstrukturierung von Schulden?

Im November 2020 wurde der Gemeinsame Rahmen (Common Framework for Debt Treatment beyond the DSSI) von den G20 entwickelt. Damit soll eine dauerhafte Lösung für strukturelle Schuldenprobleme und ein Weg zurück zu nachhaltiger Entwicklung gefunden werden. Allerdings gibt es bisher keine vorzuweisenden Erfolge, weshalb Änderungen und weitere Maßnahmen notwendig sind.

Zum einen braucht es Soforthilfemaßnahmen, um eine weitere Krise abzuwenden. Zum anderen muss das Common Framework so verbessert werden, dass es schneller und nach einem vereinbarten öffentlichen Zeitplan funktioniert und die Beteiligung aller Gläubiger*innen – einschließlich des Privatsektors – beinhaltet. Für diesen gibt es bisher keinen Anreiz, sich zu beteiligen. Außerdem müssen die Schuldnerländer mehr Einfluss auf globale Finanzmärkte bekommen, um wirksam ihre Interessen verhandeln zu können und in der Lage zu sein, strukturelle Herausforderungen abzuschaffen.

Eine weitere Möglichkeit, um betroffene Länder zu unterstützen, wäre ein Schuldenmoratorium oder, in geeigneten Fällen, sogar ein Schuldenschnitt. Ein Moratorium ist eine Vereinbarung, durch die meist ein Zahlungsaufschub festgelegt wird. Ein Schuldenschnitt dagegen bedeutet, dass Schulden teilweise oder vollständig erlassen werden.

Wie geht es weiter?

Am 18. und 19. Mai 2022 trafen sich die G7-Entwicklungsminister*innen in Berlin. Dabei wurden einige vielversprechende Vorhaben beschlossen. Allerdings fehlt es an konkreten Angaben dazu, wie die Probleme angegangen werden sollen. Es heißt, das Common Framework solle erfolgreich umgesetzt werden – die Herausforderungen und notwendige Änderungen werden dabei allerdings nicht erwähnt.

Wir machen weiter Druck, um die betroffenen Staaten wirksam zu unterstützen und Handlungsspielräume zu ermöglichen. Unterstütze uns, indem du unseren Aufruf an die G7 unterschreibst. Denn gemeinsam können wir die Zukunft neu schreiben!