Semhal Guesh wuchs in Äthiopien auf und hörte einen Satz, den viele junge Mädchen in ihrem Alter nicht hörten: „Du kannst tun, was immer du willst.“
Heute ist Semhal 27 Jahre alt und es ist es kein Zufall, dass sie Designerin, Architektin und Unternehmerin geworden ist. Semhal leitet die Firma Kabana, ein Lederunternehmen in Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens. In der größten Stadt des Landes und durch ihr Unternehmen hilft Semhal anderen Frauen, ihr Potenzial voll auszuschöpfen.
„Seitdem ich denken kann, sagte mir mein Vater, dass ich alle Ideen, die ich hatte, verwirklichen könnte. Dass ich keine Grenzen hätte.“, sagte Semhal. „In Äthiopien sind viele Familien männerdominiert und Söhne erhalten mehr Chancen als Töchter. Aber bei meinem Vater war das anders.“
Semhal weiß, dass sie ein hartes Leben erwartet hätte, wenn sie im ländlichen Äthiopien oder mit weniger ermutigenden Eltern aufgewachsen wäre. Sie hätte ihre Schule im Alter von 12 Jahren abbrechen müssen und wäre früh verheiratet worden. Stattdessen konnte Semhal davon träumen, Astronautin oder Astrophysikerin zu werden. Schließlich entschied sie sich jedoch für die Architektur, die Semhal davon überzeugte, etwas Schönes und Funktionelles zu schaffen.
Während ihres Architekturstudiums sammelte sie auf einem lokalen Markt einige Ledermuster und begann, damit zu designen. Plötzlich entstand in ihrem Wohnheim eine kleine Werkstatt mit einer Handvoll Frauen, die Produkte für den Verkauf auf dem Basar nähten.
„Tagsüber gingen wir zu Vorlesungen und nachts stellten wir Lederwaren her“, sagte Semhal. „Es ging mehr um die Freude, unsere Arbeit zu gestalten und in die Tat umzusetzen. Es ging nicht darum, Geld zu verdienen. Es war etwas, das wir zusammen machen konnten.“
Nach dem Abschluss begann Semhal Vollzeit in der Architektur zu arbeiten, während sie es immer noch schaffte, ihr Ledergeschäft aufzubauen. Ihr*e Vorgesetzte*r im Architekturbüro sah ihre Leidenschaft und ermutigte sie, sich mehr auf ihre Lederfirma zu konzentrieren. Schließlich traf sie die Entscheidung, sich ganz auf Kabana zu fokussieren.
„Es war eine hektische Zeit, aber es hat mich unglaublich motiviert zu sehen, wie der Job und das Einkommen das Leben meiner ersten Mitarbeiterin veränderte“, sagte Semhal. „Sie kam mit sehr wenig Wissen und Erfahrung zu mir. Ich habe ihr beigebracht, wie man Leder schneidet und näht und wie man das Design entwickelt. Mit der Zeit sah ich, wie sie sich veränderte, sie lernte, was zu tun war. Sie hatte keine Angst, ihre Ideen zu teilen, weil sie die Freiheit hatte, sich zu äußern. Ich dachte: Ich bezahle jemanden, der seine Familie unterstützt. Ich gehöre zu der Generation, die ihr Chancen und Einkommen verschafft.“
Semhal sieht ihre Mission darin, anderen Frauen die gleiche Unterstützung zu geben, die sie selbst bekommen hat. Sie motiviert die von ihr eingestellten Frauen dazu, mehr von sich selbst zu erwarten. Sie schreibt ihre Mitarbeiterinnen in verschiedene Trainingsprogramme ein, um ihnen zu helfen, ihren Wert und ihr Potenzial zu erkennen. Sie investiert in ihre neuen Geschäftsideen durch Kredite, bezahlt ihre Mitarbeiterinnen auch außerhalb der Arbeitszeiten und bietet Mentoring und Coaching an.
„In Äthiopien sind viele Menschen schüchtern, besonders die Mädchen“, sagte Semhal. „Dann erzähle ich meinen Mitarbeiterinnen von mir selbst. Wie ich dorthin gekommen bin, wo ich bin, und dass nicht alles einfach ist. Dann ermutige ich sie, Gespräche mit anderen Frauen zu führen. Ich will, dass sie wissen, dass sie nicht verschlossen sein müssen.“
Glücklicherweise glaubt Semhal, dass sich die Sichtweise ihres Landes auf Frauen verändert. Das wird durch die jüngsten Veränderungen belegt, wie die Entscheidung der Regierung in die Bildung von Frauen zu investieren. Zudem gründete sie verschiedene Führungs- und Berufsverbände.
Da sich in Äthiopien immer mehr Türen für Frauen öffnen, legt Semhal die Messlatte für die Gleichstellung, Sicherheit, Löhne und Sozialleistungen von Frauen am Arbeitsplatz immer höher. Durch die Partnerschaft ihres Unternehmens mit ABLE musste Kabana eine Sozialverträglichkeitsprüfung („ACCOUNTABLE Social Impact Audit“) durchlaufen. Dadurch hat sie Möglichkeiten gefunden, ihre Löhne, Mutterschaftsurlaubsrichtlinien, medizinische Versorgung und Beschäftigungspraktiken zu verbessern.
„Äthiopien hat keine feste Mindestlohnpolitik“, sagt Semhal. „Aber als ABLE bei KABANA gerechte Löhne einführte, gab es uns einen neuen Maßstab.“
„Ich möchte zeigen, dass man als Unternehmer*in auch jung und weiblich sein kann“, sagte Semhal. „Es braucht viel Überzeugungsarbeit, aber ich bin nicht jemand, der vor einer Herausforderung zurückschreckt. Der Kampf gegen frauenfeindliche Tradition beginnt damit, Geschichten über andere Frauen und ihren Erfolg zu hören.“