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Afrikanischer Widerstand in der deutschen Kolonialgeschichte

Dies ist ein Gastbeitrag von Justice Mvemba, Gründerin von desta – Dekoloniale Stadführung.

40 Jahre lang haben sich Initiativen und Aktivist*innen für die Umbenennung der Straßen im Afrikanischen Viertel gewidmeten Straßen eingesetzt. Mit Erfolg! Im Dezember 2022 wurden zwei von drei Straßen umbenannt.  Doch warum ist es so wichtig, dass Straßen umbenannt werden? Die Straßennamen der Kolonialzeit sichern nicht nur glorifizierte Täter*innen einen Platz in der kollektiven Erinnerung, sie sorgen auch dafür, dass das Erbe des Kolonialismus weiterlebt als koloniale Kontinuität. Sie sorgen dafür, dass wir uns als Gesellschaft nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen und aus ihr lernen. Durch eine Umbenennung kann ein Perspektivwechsel im öffentlichen Raum stattfinden. Denn die Menschen in den Kolonien waren nicht nur Opfer, sie wehrten sich auch! Eine Tatsache, die oft kaum Aufmerksamkeit erhält. Stattdessen wurde der Kolonialismus bis vor nicht allzu langer Zeit glorifiziert und als notwendige „Erziehungsmaßnahme” propagiert.

Widerstandskampf im deutschen Kolonialreich

Heute ist ein Platz im Afrikanischen Viertel nach Rudolph und Emily Duala Manga Bell genannt. Ein kamerunisches Königspaar, das sich gegen die Kolonialpolitik und für die Menschen im Kamerun und deren Rechte einsetzten. Kamerun war seit 1884 eine deutsche Kolonie, bis es 1919 durch den Versailler Vertrag als “Besitz” an Großbritannien und Frankreich überging.  Zur deutschen Kolonialzeit im Kamerun wurde die lokale Bevölkerung systematisch  ihrer Ländereien enteignet und verlor so ihre Existenzgrundlage. Die Erhebung von Steuern drängte sie in die Zwangsarbeit und führte oft zum Tod. Die räumliche Trennung zwischen Schwarzen und weißen Menschen führten die Deutschen damals aus „hygienischen“ Gründen durch und empfanden sie als zwingend notwendig. Mit seinen Beschwerdebriefen an die deutsche Regierung über diese Ungerechtigkeiten bezahlte Rudolph Manga Bell mit seinem Leben. Als Verräter wurde er nach einem unfairen Gerichtsverfahren von deutschen Kolonialoffizieren hingerichtet. Gleiches gilt für Cornelius Fredericks – auch er wurde im Zuge des Widerstandkampfs in Namibia von den Deutschen ermordet. Namibia, das damals als Deutsch-Südwestafrika von 1884 unter deutscher Kontrolle stand, bis es 1915 von südafrikanischen Truppen erobert worde, ist heute der bekannteste Ort der Brutalität deutscher Kolonialgeschichte.  Der Widerstandskampf der Herero und Nama in Nambia dauerte mehr als 3 Jahre und gilt heute als erster historisch anerkannter Genozid des 20. Jahrhunderts. Die Namen und der Einsatz der Widerstandskämpfer*innen dürfen nicht in Vergessenheit geraten, weshalb wir mit den Führungen bei deSta unermüdlich von dem Mut und der Selbstlosigkeit der Anführer*innen erzählen.

Uns ist außerdem wichtig die kolonialen Kontinuitäten zu adressieren, die bis heute in unseren gesellschaftlichen Strukturen und dem Stadtbild in Berlin verankert sind. Tag für Tag werden Rassismen reproduziert und weder in Frage gestellt noch als solches von der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen. Dekolonisierung muss deshalb in unseren Köpfen beginnen und dafür müssen wir den Ursprung und die Funktionen von Rassismus verstehen. Entgegen der Annahme vieler Menschen hat Rassismus weniger mit der persönlichen Wertevorstellung zu tun hat und mehr mit Machtstrukturen, die einer gewissen Menschengruppen bspw. Zugänge zu Ressourcen gewährleistet während er anderen Gruppen verwehrt wird. Eine genauso große Rolle spielt Schutz. Denn auch heute genießen People of Colour und weiße Menschen nicht dieselben Zugänge zu Schutz auf rechtlicher Ebene. Aus der Geschichte kennen wir Instanzen wie Schutztruppen, auch Kolonien wurden als Schutzgebiete bezeichnet.

Doch wer wurde vor wem geschützt?

Das Militär, die Reichsmarine also die sogenannten Schutztruppen wurden in die Schutzgebiete versandt, um deutsche Kaufleute und Siedler*innen vor der lokalen Bevölkerung zu schützen. Der alleinige Zugang zu Ressourcen sollte durch diese Instanzen gewährleistet werden. So ist es nicht verwunderlich, dass auch heute das Thema Schutz im Leben von Nicht-weißen Menschen weltweit keine Selbstverständlichkeit ist. Heute kämpfen People of Colour weltweit noch immer für ihren institutionellen und rechtlichen Schutz. Doch dieser steht noch viel zu oft in Konkurrenz zum Interesse am Zugang zu Ressourcen. Das Errichten von Schutzmaßnahmen für People of Colour wird noch immer als „nicht notwendig“ erachtet. Die Medien und unsere Sozialisierung suggerieren uns nämlich bis heute eine vermeintliche Harmlosigkeit weißer Privilegien. Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit lernen wir jedoch schnell, dass das Bild der vermeintlichen „Harmlosigkeit“ ebenso einen Zweck erfüllt wie die damals frei erfundenen Stereotypen die den verschiedenen Rassen zugeordnet wurden.

Rassismus ist ein soziales Konstrukt

Es negiert die Gewalt, die von den kolonialen Strukturen ausgeht. Sodass die Mehrheitsgesellschaft in der Annahme lebt, Rassismus sei nur ein Problem, wenn es angesprochen und thematisiert wird. Umso wichtiger ist es deshalb, dass wir diese falschen Mythen adressieren und in den Diskurs gehen. Denn Rassismus ist keine Entscheidung es ist ein soziales Konstrukt, das ein klares Ziel verfolgt. Dieses Ziel entspricht nicht mehr den heutigen Wertevorstellungen der breiten Masse und sollte deshalb neu gedacht und neu gesetzt werden. Dazu gehört es auch Strukturen zum Schutz von People of Colour sowohl auf staatlicher Ebene, als auch auf institutioneller Ebene in Kindergärten, Schulen, Universitäten und Unternehmen aufzubauen. Erst dann erhalten marginalisierte Menschen die Chance sich frei zu entfalten und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Dekolonialisierung in deutschen Schulen und auf deutschen Straßen

In vielen Schulen Deutschlands wird die Kolonialgeschichte kaum oder gar nicht behandelt. Die ehemaligen Kolonien des deutschen Kaiserreichs werden während der Schulzeit zu wenig oder gar nicht behandelt. Sodass sich ein umfassendes Verständnis der deutschen Kolonialgeschichte oder bestehenden kolonialen Kontinuitäten gar nicht  in der Gesellschaft etablieren kann. Wir bei deSta – dekoloniale Stadtführungen – wollen Teile dieser Lücken füllen und Anreize für Teilnehmende schaffen, sich mehr mit Kolonialgeschichte und den daraus resultierenden Folgen auseinanderzusetzen. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt die Geschichten von Schwarzen Menschen und ihren Widerständen in Afrika zu erzählen. Bei einem zweistündigen Spaziergang schaffen wir Kontext zu den Straßennamen im Afrikanischen Viertel und erläutern nach welchen afrikanischen Ländern, Kolonialakteur*innen und Widerstandskämpfer*innen benannt sind. Dabei soll klar werden, welche tragende Rolle das Deutsche Kaiserreich bei der Kolonialisierung Afrikas gespielt hat. Denn Deutschland war flächenmäßig die drittgrößte Kolonialmacht und die Rassenlehre Grundlage für die Legitimierung von Ausbeutung, Enteignung und Unterdrückung der Afrikaner*innen. Carl Peters, Adolf Lüderitz und Gustav Nachtigal wurden als die drei Begründer der deutschen Kolonien heroisiert. Lange Zeit wurden sie für die gewaltsame Übernahme der Territorien in Afrika und der Durchsetzung ihrer rassistischen Ideologien in den Kolonienverehrt. Wir sind noch lange nicht am Ziel aber hoffnungsvoll, dass wir mit unserer Arbeit dazubeitragen, dass zukünftig anstelle der Kolonialherren die Aktivist*innen gefeiert werden, die unerbitterlich im Widerstand gekämpft haben.

Du würdest gerne an einer Stadtführung von deSta in Berlin teilzunehmen? Vom 22.02. – 28.02.23 kannst du auf Facebook, Twitter oder Instagram zwei Karten gewinnen!

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