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“Vor 30 Jahren war HIV noch ein Todesurteil – heute ist wieder Hoffnung erlaubt”

Dies ist ein Gastblog von Maike Bildhauer.

Der malische Arzt Mamadou Cissé wurde 1963 in Leipzig geboren. Seine Eltern gehörten zu den ersten Malier*innen, die nach der Unabhängigkeit 1960 zum Studium in die damalige DDR geschickt wurden. Mit dem inzwischen fünfjährigen Mamadou ging die Familie zurück in die Heimat – vorübergehend. Als Teenager kam Cissé zurück nach Deutschland, machte in Berlin Abitur am deutsch-französischem Gymnasium und studierte anschließend Medizin in Leipzig. Überzeugt davon, dass er als Mediziner in Mali mehr gebraucht würde als in Deutschland, kehrte er bald nach der Promotion in die malische Hauptstadt Bamako zurück. Für die zivilgesellschaftliche Organisation ARCAD Santé PLUS setzt er sich seither für Eindämmung von HIV und Aids in Mali ein.

Dr. Mamadou Cissé engagiert sich seit fast 30 Jahren gegen HIV. Foto: ARCAD Santé Plus

Dr. Cissé, wann sind Sie ihrem ersten HIV-Fall begegnet?

Das war noch in Deutschland, am Universitätsklinikum in Leipzig in der Lungenheilkunde. Die Stationsärztin sagte mir damals, ‘Herr Cissé, passen Sie gut auf. Diese Krankheit werden Sie zu Hause sehr häufig antreffen.’ Sie hat recht behalten und inzwischen arbeite ich seit mehr als einem Vierteljahrhundert im Bereich HIV und Aids.

1995 sind Sie nach Mali zurückgekehrt. Wie war damals die Situation für Menschen mit HIV?

Die Bestimmung des serologischen Status war seinerzeit die größte Herausforderung überhaupt. Die meisten Ärzte trauten sich das damals nicht zu. Sie waren dafür nicht ausreichend ausgebildet. Beratung vor und nach dem HIV-Test war noch ein Fremdwort. Ich arbeitete zunächst als HIV-Arzt in einer Ambulanz und machte auch Hausbesuche. Das war sehr mühsam, denn Angst und Sorge standen immer im Vordergrund. 1995 war es wirklich schwierig jemanden zu sagen, dass er mit HIV infiziert ist. Die Nachricht kam einem Todesurteil gleich. Wir hatten keine antiretroviralen Arzneimittel. Nur die Privilegierten konnten sich die leisten, aus dem Ausland. Die ärztliche Versorgung bestand damals hauptsächlich darin, opportunistische Infektionen zu behandeln, Präventionsmittel zu verteilen und seelische Betreuung am Ende des Lebens zu leisten.

Das ist nun fast 30 Jahre her. Vor 20 Jahren wurde der Globale Fonds gegründet. Was hat sich seither verändert?

Die Prognosen für Menschen mit HIV haben sich durch Initiativen für den Zugang zu antiretroviralen Therapien, wie dem Globalen Fonds, deutlich verbessert. Früher waren Menschen mit HIV und ihre Familien verzweifelt. Wenn heute jemand zu uns kommt und positiv auf HIV getestet wird, können wir sofort mit der Medikamentengabe beginnen. Die antiretrovirale Behandlung ist in Mali seit 2002 breit verfügbar, seit 2003 zudem kostenlos. Das ist ein Erfolg malischer Aktivisten in Kombination mit der damals startenden Zusammenarbeit mit dem Globalen Fonds, Heute ist also wieder Hoffnung erlaubt. Man kann wieder über grundlegende Lebensentwürfe, Arbeit, Ehe, Kinderwunsch sprechen. Das ist es für mich, die stärkste Veränderung seit damals.

 

Wie wirkt sich die aktuelle Pandemie auf die Gesundheitsversorgung aus?

Wie in vielen Ländern rund um die Welt hat COVID-19 unsere Gesellschaft, unser Leben verändert; auch wenn es in Mali bisher weniger Fälle und Tote gab als in anderen Regionen. Als im März 2020 die ersten Fälle bei uns auftraten, hat Mali seine Grenzen geschlossen und die Gesundheitsversorgung angepasst, zum Beispiel durch ein Rotationssystem für das Gesundheitspersonal. Die Anzahl der Menschen, die Gesundheitseinrichtungen für andere Erkrankungen als COVID-19 aufsuchen, ist drastisch gesunken. Auch viele Menschen mit HIV kamen nicht mehr, aus Angst vor dem Coronavirus. Daher ist die HIV-Prävention und -Versorgung rückläufig. Wir hatten allerdings bereits vor der Pandemie begonnen, Menschen mit HIV mit Medikamenten für mehrere Monate auszustatten. Das hat sich während COVID-19 ausgezahlt, so dass unsere Patienten zurecht kamen, obwohl der Zugang zu den Behandlungszentren begrenzt war.

HIV-Aufklärung über Wandbilder in Mali. Foto: ARCAD Santé Plus

Aus Ihrer Perspektive als Arzt, was behindert die Bekämpfung von HIV in Mali?

Solange man mit Stigmatisierung, Diskriminierung und Missachtung der Menschenrechte konfrontiert ist, ist es schwierig HIV zu beenden. Das sind für mich die Hindernisse, für die wir noch Lösungen finden müssen. Aber es hat sich auch schon einiges getan. Früher kamen einige Leute nachts zum Testen, andere haben ihren positiven Status zu Hause verschwiegen, beides aus Angst vor Stigmatisierung. Heute kann jeder zu uns kommen, bekommt Medikamente und wird versorgt. Dank des Globalen Fonds hat man heute eine Waffe, mit der man gegen Stigmatisierung ankämpfen kann.

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Die NGO ARCAD Santé PLUS, 1994 als ARCAD-SIDA gegründet, ist ein wichtiger strategischer Partner des malischen Gesundheitsministeriums in der Bekämpfung von HIV/AIDS in Mali und Gründungsmitglied von Coalition Plus, einem internationalen Zusammenschluss gemeinde-basierter NGOs im Bereich HIV/Aids.

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