Wir sind der Meinung, die extreme Armut kann nur überwunden werden, wenn Frauen und Mädchen weltweit gestärkt werden, denn #ArmutIstSexistisch
Es gibt viele Menschen und Organisationen, die sich für Gleichstellung einsetzen. Diese wollen wir mit unserer Interview-Reihe zeigen, um uns gegenseitig zu unterstützen und voneinander zu lernen.
Los geht es mit einem Interview mit Juliane Rosin. Sie arbeitet als Advisor Internationale Gleichstellungspolitik / Projektleitung W20 Germany für den Deutschen Frauenrat im Bereich internationale Gleichstellungspolitik und betreut dessen Arbeit zu W20.

Juliane Rosin vom Deutschen Frauenrat. Copyright: Privat
ONE: Brauchen wir im Jahr 2018 Feminismus? Warum?
Juliane Rosin: Ja! Noch solange Jungs um andere Jungs zu kränken diese als „Mädchen“ bezeichnen, solange Frauen wirtschaftlich schlechter gestellt sind und z.B. in Deutschland durchschnittlich nur die Hälfte an Rente bekommen, solange missbrauchte Machtverhältnisse bestehen, brauchen wir den Feminismus! Wir brauchen ihn, um unsichtbare Privilegien zu entlarven. Privilegien, die im Endeffekt nicht nur das Geschlecht betreffen – aber mit ähnlichen Mechanismen Menschen nach Haut, Gesundheit, sexueller Orientierung, Religion, Bildungsgrad oder Klassen einstufen und gefangen nehmen.
Viel zu lange, über tausende von Jahren (!) haben wir mit diesen Ungerechtigkeiten gelebt. Es braucht viel Durchhaltevermögen, um tiefsitzende traditionell verankerte (patriarchale) Muster zu erkennen und aufzubrechen. Es gibt eine Menge zu tun und die feministische Brille aufzusetzen ist ein wichtiger Anfang all das überhaupt erst einmal zu sehen. Für Mädchen und Frauen aber auch für Jungen und Männer.
ONE: Welcher Politiker oder welche Politikerin kann Ihrer Meinung nach derzeit am meisten für die Rechte der Frauen bewegen?
Juliane Rosin: Tatsächlich müssen alle Politikerinnen und Politiker erkennen, dass es sich hier um ein Querschnittsthema handelt, welches in alle Bereiche der Politik spielt. Ich weiß, das haben wir alle schon mehrfach gehört und rollen innerlich die Augen. Aber wirklich – es nützt nichts alle „Frauenthemen“ immer wieder nur in separaten Konferenzen besprechen zu wollen. Diese sind sehr wichtig, um noch existierende Ungerechtigkeiten an die Öffentlichkeit zu bringen, Netzwerke aufzubauen und Strategien zu verbessern. Ändern wird sich aber nur langfristig etwas, wenn wir verstehen, dass es so gut wie keine geschlechtsneutralen Themen gibt. Gerade Themen wie Sicherheitspolitik, Wirtschaft, Digitalisierung oder auch Klimaschutz sind eng mit Fragen der Geschlechtergerechtigkeit verzahnt und auch Familienpolitik muss endlich alle Mitglieder einer Familie ansprechen.
Es ist ein guter Anfang einen „proud feminist“ als Präsident der G7 oder als UN-Generalsekretär zu haben, oder eine Kanzlerin, die für ihre Gleichstellungspolitik international ausgezeichnet wird. Ich freue mich aber besonders auf die progressiven Taten dieser Personen, an die ich sie zusammen mit anderen Feministen z.B. in Ottawa (W7) oder Buenos Aires (W20) gerne erinnern werde.
ONE: Was sollte die Bundesregierung tun, um die Situation von Frauen und Mädchen voranzubringen?
Juliane Rosin: Um die Situation zu verbessern, reicht es nicht an einer Schraube zu drehen. Vielmehr geht es um ein ganzes Konzert aufeinander abgestimmter Instrumente: Gesetze, die Ungleichheiten betonieren, wie das Ehegattensplitting, müssen abgeschafft werden. Mehr Frauen müssen in Führungs- und Gestaltpositionen gebracht und die Auswirkung der digitalen Transformation auf die Gleichstellung der Geschlechter ernst genommen werden. Die Bundesregierung muss gleiche Bezahlung für gleiche und gleichwertige Arbeit durchsetzen sowie dem Abbau der Hilfen zur Frauengesundheit und Gewaltprävention gerade im ländlichen Raum entgegenwirken. Ebenso mehr geschlechtsspezifische Daten erheben, mehr Frauen in Parlamente bringen und das Gender Budgeting einführen. Und bei alledem das Gespräch mit der Zivilgesellschaft nicht vergessen. Dann kann in konstruktiven Dialogen all das noch weiter besprochen werden, was ich hier aus Platzgründen nicht benennen konnte.
ONE: Haben Sie ein Vorbild? Wenn ja, wer und warum?
Juliane Rosin: Eine Menge, jeglichen Geschlechts. Aber ohne lange zu überlegen auf jeden Fall Christine Lagarde, die nicht nur eine Wettkampfschwimmerin war (ich liebe Wasser), sondern als erste Frau Finanzministerin eines G7-Landes wurde, auch als erste Frau nun an der Spitze des Internationalen Währungsfonds steht und hier immer wieder Geschlechtergerechtigkeit auf die Agenda setzt. Aller rollenden Augen zum Trotz.
Frau Lagarde ist dabei kein perfekter Mensch, hat Aufnahmeprüfungen zu renommierten Schulen nicht bestanden, ihre Ehe getrennt und Strafverfahren gegen sich erlebt. Sie ist also nicht unfehlbar aber bleibt bei ihren großen Zielen und kann immer noch lachen.
ONE: Was ist Ihr persönlicher Rat an alle Menschen da draußen, die sich für die Rechte von Frauen und Mädchen einsetzen?
Juliane Rosin: Bildet Banden und habt Spaß! Ich kann verstehen, dass mit dem Erwerb der feministischen Brille sofort ein akuter Aktionsdrang einsetzt. Zu Recht! Da wir alle nur eine bestimmte Menge an Energie haben und unsere Arbeit zu wichtig ist, als dass wir uns zu viel Energieverlust erlauben könnten, atmet erst einmal durch und sucht Personen, Verbände, Organisationen, Medien, die sich mit Gleichstellungsfragen beschäftigen und hört zu und lernt die Akteur/-innen kennen. Reibt euch nicht zu sehr an den Unterschieden auf, sondern schaut, was euch verbindet und versucht erreichbare Ziele aufzustellen. Vergrößert mit der Zeit die Radien eures Wirkens und gebt Erfahrungen weiter. Wir brauchen einander und müssen noch so viele mitnehmen.
Wenn ihr auch über dieses Interview hinaus an mehr über Juliane Rosin wissen wollt, folgt ihr auf Twitter unter @JuliRosin. Der Deutsche Frauenrat berichtet via @Frauenrat.