Wir freuen uns sehr, euch dieses Mal Claudia Roth im Fünf-Fragen-Interview zu präsentieren. Claudia Roth bedarf keiner großen Vorstellung. Derzeit ist sie Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. Früher war sie unter anderem Parteivorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen und ganz früher Managerin der Band Ton Steine Scherben. Engagiert, solidarisch und rock’n’rollig, so kennt man Claudia Roth. Und so sind auch ihre fünf Antworten.
ONE: Brauchen wir im Jahr 2018 Feminismus? Warum?
Claudia Roth: Und wie wir Feminismus brauchen, mehr denn je! Wir brauchen einen lauten, starken, emanzipatorischen Feminismus als Vision einer gerechten Welt, in der alle Menschen gleichberechtigt und gut leben können. Weltweit sind Frauen und Mädchen benachteiligt, nicht nur bei uns. In Entwicklungs- und Schwellenländern sind sie beispielsweise besonders stark von Hunger, Armut und den Folgen gewaltsamer Konflikte betroffen. Auch die Auswirkungen des Klimawandels treffen sie in diesen Ländern besonders hart. Es ist schlichtweg an der Zeit, dass Frauen den gleichen Zugang zu Mitbestimmung und zu Ressourcen erhalten wie Männer.

Foto: J. Konrad-Schmidt
Dabei müssen wir unseren Feminismus breiter verankern. Ein progressiver, ein intersektionaler Feminismus denkt die Benachteiligung von Frauen zusammen mit anderen Diskriminierungsformen – und stellt damit die großen Gerechtigkeitsfragen dieser Zeit. Und es sind nicht selten die Feminist*innen, die dem Widererstarken einer autoritären oder rechtsnational-völkischen Politik besonders konsequent und unnachgiebig eine gerechte, menschenrechtsbasierte Politik der Kooperation entgegensetzen.
Daher ist es umso wichtiger, dass wir gemeinsam als weltweite feministische Bewegung agieren. Bei #MeToo oder dem Women‘s March haben wir doch gesehen: Es gibt keine andere Bewegung, die schneller, globaler und wirkmächtiger Kräfte gegen die Ideen des Rechtsextremismus, des Rechtspopulismus, der Anti-Emanzipation, der Anti-Moderne und der Regression organisieren und mobilisieren könnte als die weltweite Frauenbewegung.
ONE: Welcher Politiker oder welche Politikerin kann Ihrer Meinung nach derzeit am meisten für die Rechte der Frauen bewegen?
Claudia Roth: Ich denke, das grün-feministische Ur-Motto greift auch hier: Bildet Banden und geht gemeinsam vor. Eine einzelne Politikerin wird wohl kaum ausreichen. Aber: Ich finde die schwedische Außenministerin Margot Wallström inspirierend. Sie zeigt, dass es um eine prinzipielle Einstellung in der Politik geht: Bin ich feministisch oder nicht, ganz grundlegend, nicht von Fall zu Fall? Mit ihrer Konsequenz macht sie anderen Regierungen Druck. Das ist enorm wichtig.
ONE: Was sollte die Bundesregierung tun, um die Situation von Frauen und Mädchen voranzubringen?
Claudia Roth: Die Bundesregierung hat nicht nur eine, sondern viele Baustellen, wenn es um glaubwürdige Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen geht. Denn eine feministische Politik denkt die Belange von Frauen in allen Ebenen mit, in der Außen- ebenso wie in der Innenpolitik – und setzt dabei nicht auf Symbolpolitik, sondern auf konsequente und konkrete Maßnahmen. Dafür braucht es grundlegende, strukturelle Veränderungen. Die UN-Nachhaltigkeitsagenda 2030 sieht beispielsweise im Nachhaltigkeitsziel 5 vor, die Gleichberechtigung der Geschlechter zu erreichen und Frauen und Mädchen zu einem selbstbestimmten Leben zu befähigen. Auch Deutschland hat diese Agenda unterschrieben und noch einige Hausaufgaben vor sich: Die Bundesregierung könnte sich endlich durch wirkungsvolle Quoten für die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen in Führungsebenen einsetzen, für die körperliche Selbstbestimmung statt der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, für eine gerechte Bezahlung, für die Umverteilung unbezahlter Arbeit, für ein Ende der Bagatellisierung sexualisierter Übergriffe, für ein gerechtes Steuersystem – die Liste ist lang!
ONE: Haben Sie ein Vorbild? Wenn ja, wer und warum?
Claudia Roth: Es gibt viele Menschen, die mich inspirieren, weil sie die Dinge hinterfragen, weil sie Haltung zeigen, sich im Großen und im Kleinen für mehr Gerechtigkeit einbringen. Besonders prägend war für mich mein Elternhaus, in dem Diskriminierung von Beginn an als etwas „zu Überwindendes“ verstanden wurde. Meine Großmutter hat mir mit auf den Weg gegeben, dass Menschenrechte nicht nur ein altruistischer Akt, sondern die Voraussetzung für eigenes Wohlbefinden sind. Sie sagte immer: Mir kann es doch nicht gut gehen, wenn es meinem Nächsten nicht gut geht. Das hat mich geprägt.
ONE: Was ist Ihr persönlicher Rat an alle Menschen da draußen, die sich für die Rechte von Frauen und Mädchen einsetzen?
Claudia Roth: Seid beharrlich, denn die Umverteilung von Macht geht nicht einfach und ohne Widerstände von statten. Sucht euch Verbündete, seid solidarisch und unterstützt einander! Es muss noch viel passieren, bis Frauen weltweit wirklich die gleichen Chancen haben wie Männer, aber jeder Schritt in die richtige Richtung zählt!
Seid ihr jetzt inspiriert und wollt selbst für die Rechte von Frauen aktiv werden? Dann macht mit bei unserer Kampagne Armut ist sexistisch. Und wenn ihr euch für feministische Debatten aus grüner Sicht interessiert, dann sei euch noch der Feministische Zukunftskongress von Bündnis 90 / Die Grünen Anfang September in Leipzig empfohlen.