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Die Südafrikanische Kurzgeschichte: Von ihrer Wichtigkeit und warum wir mehr davon brauchen

Dies ist ein Gastbeitrag von Stefanie Hirsbrunner, Inhaberin der auf Afrika spezialisierten Buchhandlung InterKontinental und Direktorin des jährlich stattfindenden African Book Festivals in Berlin Eastern Cape, Südafrika.

Ein junges Mädchen beschützt und kümmert sich rührend um ihre Schwester, deren schwere psychische Probleme das gesamte Dorf in Aufruhr versetzen. Ihre Situation verschlimmert sich noch als die weitere Pflege in die Hände von Nkunzi gelegt wird, der mithilfe von traditionellen Methoden versucht, ihr die Dämonen auszutreiben. Der Autor und Fotograf Lidudumalingani, bekannt als das Cool Kid der heutigen südafrikanischen Literaturszene gewann mit seiner Kurzgeschichte Memories We Lost 2016 den Caine Prize for African Writing und wurde daraufhin schlagartig bekannt. In seinem Text bricht er mit dem Tabuthema der mentalen Gesundheit. Der Autor steht für ein neues Selbstbewusstsein und eine neue Generation Schwarzer Künstler*innen in Südafrika, wo die Kurzgeschichte ein wichtiges Sprachrohr des Widerstands gegen das Apartheid-Regime war und auch heute noch eine besondere Wertschätzung erfährt.

Kurzgeschichten überzeugen durch ihr wesentliches, namensgebendes Merkmal: ihre Kürze. In der Schnelllebigkeit unserer Zeit ist sie geradezu prädestiniert dafür, ein junges, digitales und globalisiertes Publikum zu erreichen. Auf dem internationalen Literaturmarkt erfährt die Kurzgeschichte deshalb bereits seit einigen Jahren neue Beachtung, wie z.B. der Literaturnobelpreis im Jahr 2013 an Alice Munro zeigt, deren gesamtes Werk ausschließlich aus Kurzgeschichten besteht.

Weltweit werden in jedem Jahr viele bedeutende Auszeichnungen an herausragende Kurzgeschichten-Autor*innen vergeben. Der Caine Prize for African Writing ist in dieser Sparte der bedeutendste Literaturpreis für den afrikanischen Kontinent, aber auch der mit 5.000 £ dotierte The Commonwealth Short Story Prize oder der von Mũkoma wa Ngũgĩ ins Leben gerufene The Mabati Cornell Kiswahili Prize for African Literature sind wichtige Auszeichnungen in diesem Literaturbereich.

„Die Kurzgeschichte ist wahrscheinlich die Geheimwaffe der Welt, weil in ihr die Kultur oraler Erzähltradition eingeschrieben ist und sie sowohl bildet als auch zur Unterhaltung dient.“ ~ Moran Publishers

Im afrikanischen Kontext war die Kurzgeschichte durch ihre Nähe zur oralen Erzähltradition stets von Belang und auch in der zeitgenössischen, literarischen Produktion nimmt sie weiterhin eine wichtige Rolle ein. Schwarze Menschen sind über Jahrhunderte ihrer Achtung beraubt worden. Diese Missachtung ist im heutigen Südafrika omnipräsent. Literatur kommt daher eine besonders wichtige Rolle zu: Sie ist Mittel zur Aufarbeitung, Anklage, Ausdruck von Verwundbarkeit, Wut, Schmerz, Hoffnung und geht nicht selten Zukunftsfragen und der eigenen Identität in einem durch Rassismus tief gespaltenen Land nach.

Kurzgeschichten zeugen heute vor allen Dingen von Narrativen des soziopolitischen Wandels in Südafrika und sind in einem immer noch von weißen Schriftsteller*innen dominierten Markt das Genre einer neuen Schwarzen Generation von Literaturschaffenden. Niq Mhlongo, Fred Khumalo, Keletso Mopai, Lindiwe Nkutha, Masande Ngcali Ntshanga, Resoketswe Manenzhe, Mphuthumi Ntabeni – die Liste der angesehenen, aktuellen Autor*innen ist lang.

Dennoch sind in der deutschen Literaturszene afrikanische und Schwarze Autor*innen unterrepräsentiert, wobei das Genre der Kurzgeschichte hiervon ganz besonders betroffen ist. Zu den wenigen Kurzgeschichten-Bänden, die in den letzten Jahrzehnten überhaupt ins Deutsche übersetzt wurden gehören Lesley Nneka Arimahs „Was es bedeutet, wenn ein Mann aus dem Himmel fällt“ (Culturbooks, 2019), Chimamanda Ngozi Adichies „Heimsuchungen“ (S. Fischer, 2012) und Nana Kwame Adjei-Brenyahs „Friday Black“ (Penguin, 2020).

Das Afrikabild vieler Leser*innen speist sich vielleicht auch deshalb hierzulande weiterhin überwiegend aus gängigen Stereotypen, welche die mediale Berichterstattung dominieren. Vorstellungen eines rückständigen Kontinents, gebeutelt von Seuchen, Kriegen, Korruption und Hungersnöten halten sich hartnäckig in den Köpfen. Schwarze Körper auf der Flucht sind zum Sinnbild der afrikanisch-europäischen Beziehungen geworden – auch weil diesen Bildern wenig entgegengesetzt wird.

„Literatur muss uns verletzten, uns aufwühlen, uns dazu zwingen, nicht immer gleich zu urteilen und Menschen in Schubladen zu zwängen. Nichts ist einfach zu erklären. Im Grunde begreifen wir nichts. Das meiste bleibt verborgen. Sinn gibt es kaum. Meistens erschließt er sich zu spät. Aber Literatur kann Achtung für den Menschen schaffen.“ ~ Leila Slimani

Kunst und Kultur kann Brücken schlagen, inspirieren und zu mehr Differenziertheit anregen. Lidudumalingani stellt daher das diesjährige African Book Festival, das unter seiner künstlerischen Leitung vom 26.-28. August in Berlin stattfindet, ganz ins Zeichen der (süd)afrikanischen Kurzgeschichte. Unter dem Titel Yesterday.Today.Tomorrow können sich die Besucher*innen an drei aufeinanderfolgenden Tagen auf ein Festival freuen, das Literatur zum Erlebnis macht.

Mehr Informationen unter africanbookfestival.de und auf Instagram @abfberlin

Buchtipps

Hauntings, Niq Mhlongo (Hrsg.)

Eine spannende Zusammenstellung südafrikanischer Autoren, darunter Fred Khumalo, Sibongile Fisher, Lucas Ledwaba, Vonani Bila, Lynn Joffe und Christopher Mlalazi. Zusammengestellt vom Meister der literarischen Erzählung, Niq Mhlongo, finden sich hier überraschende und verstörende Spuk- und Geistererscheinungen – ein faszinierender Einblick das südliche Afrika der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.

Exhale. Queer African Erotic Fiction
HollaAfrica!

Exhale is a queer anthology wrapped in the idea of a release, a letting go, breathing out. An orgasm. These are the stories that come out when you play sip or spill, truth or dare, never have I ever and lasts longer than 7 minutes in heaven. With sexual experiences from all over Africa, this anthology introduces some exciting new literary voices and brings you some of your established favourites.

Die Schuldigen von Rotten Row, Petina Gappah

Nach ihrem Roman “Die Farben des Nachtfalters” legt Petina Gappah in diesen 20 Erzählungen ein schillerndes Porträt ihrer Heimat Simbabwes vor und wirft mit bestechendem Humor universelle Fragen zu Recht und Unrecht auf. “Rotten Row” ist eine ebenso berühmte wie geschichtsträchtige Straße in Harare, Hauptstadt Simbabwes, die einmal Salisbury hieß, als Simbabwe noch die britische Kronkolonie Rhodesien war. Unter anderem befindet sich hier der Strafgerichtshof, sprudelnder Inspirationsquell für Petina Gappah, die in diesen miteinander verknüpften Stories ein Kaleidoskop menschlicher Vergehen schafft. Harares berühmt-berüchtigte Sammeltaxifahrer tauchen dabei ebenso auf wie Marktfrauen, Friseurinnen, korrupte Polizisten, gerissene Anwälte, redselige Richter und viele weitere unvergessliche Figuren.

Who´s Loving you, Sareeta Domingo (Ed.)

A beautiful collection that I both lost and found myself in. Unbelievably exciting stories from some show-stoppingly talented writers.’ Candice Carty-Williams, author of Queenie. Lost love. Forbidden Love. Unrequited love. Tenderness.

Broken People´s Playlist, Chimeka Garricks

A Broken People’s Playlist ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, deren Themen so schön verwoben sind, dass jede Geschichte nahtlos in die andere übergeht. Vom ergreifenden Anfang in “Lost Stars”, einer Geschichte über die Liebe und ihre flüchtige Natur, bis hin zur düsteren, rauen Musikprosa in “In The City”, einer Geschichte über das Überleben in den Gassen der Wasserstadt. A Broken People’s Playlist ist ein Mosaik von Geschichten über das Leben, Lieben und Verletzen durch sehr vertraute Klänge, auf sehr vertraute Weise und die Suche nach Heilung an den unwahrscheinlichsten Orten. Die Geschichten sind zum Teil eine Hommage und zum Teil ein Liebesbrief an Port Harcourt (die Stadt, in der die meisten von ihnen spielen). Die Prosa ist unverwechselbar, denn sie ist prägnant und unnachahmlich nigerianisch. Und weil die Sammlung von der Magie des beschwörenden Erzählens durchdrungen ist, wird jedem eine Geschichte, eine Figur versprochen, die ihn bewegt oder heimsucht.

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