Hunderttausend Familien, die vor Boko Haram geflohen sind, sind in einer abgelegenen und rauen Grenzregion gestrandet, weit ab von humanitärer Hilfe. Die Fotojournalistin Ashley Hamer dokumentiert die Herausforderungen, denen sich die aus ihrer Heimat Vertriebenen, im Tschadseebecken stellen müssen. Dieser Artikel wurde im englischen Original am 15. Dezember 2016 im Rahmen einer journalistischen Partnerschaft zwischen ONE und Refugees Deeply veröffentlicht.

Mariam Mustafa, 35 und Mutter von sieben Kindern, floh im Dezember 2015 mit ihrer Familie vor Boko Haram. (Photo credit: Ashley Hamer)
Als Kämpfer von Boko Haram ihr Dorf auf einer Insel im Tschadsee attackiert haben, mussten die 35-jährige Mariam Mustafa und ihr Mann all ihre Kraft zusammennehmen und ihre sieben Kinder in ein Kanu packen, um sie in Sicherheit zu bringen.
Ein sicheres Gebiet auf dem Festland zu finden, welches von den tschadischen Truppen bewacht wurde, war keine einfache Aufgabe. Das geschah im Dezember 2015 und die Familie ist ohne Hab und Gut geflohen. Als sie in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Bol, der Hauptstadt der Tschadsee-Region, ankamen, mussten sie ihren eigenen Unterschlupf bauen.

Frauen im Flüchtlingslager Dar es Salaam im Tschad, nahe der nigrischen Grenze. (Photo credit: Ashley Hamer)
Weit oben, am nördlichsten Punkt des Tschadsee, in der Nähe zur nigrischen Grenze, fliehen noch immer Familien, sowohl vor den Angriffen der Boko Haram als auch vor den Offensiven des Militärs, das versucht, die Terrorgruppe zu besiegen.
2.6 Millionen Menschen sind als Binnenflüchtlinge in dieser abgelegenen Region, die sich über die Grenzen von vier afrikanischen Ländern, Nigeria, Tschad, Niger und Kamerun, erstreckt. Eine weitere Million Menschen ist wahrscheinlich von der humanitären Hilfe abgeschnitten.

Vertriebene Familien in der Tschadregion. (Photo credit: Ashley Hamer)
Dieses große Gebiet, bekannt als Tschadseebecken, ist ein undurchdringliches Sumpfgebiet an den Rändern der Sahara, wo es auf die Grenzen der vier Länder trifft.
Schätzungen zufolge sind 21 Millionen Menschen von der Gewalt der Boko Haram im Tschadseebecken betroffen. Viele dieser abgeschiedenen Regionen sind außer Reichweite für humanitäre Hilfe aufgrund von beschränktem Zugang, Militarisierung und Sicherheitsrisiken.

Geflüchtete in der “roten Zone” im Tschad, nahe der Grenze zu Niger. (Photo credit: Ashley Hamer)
„Der Zugang für humanitäre Hilfe ist extrem schwer. Es gibt hunderte Inseln im Tschadsee, auf denen sich Menschen verstecken und die Unsicherheit hoch ist“, sagt Issa Sanogo, stellvertretender Landesdirektor des Welternährungsprogramms im Tschad.
Das verbleibende Land, um den Tschadsee, ist zu ausgetrockneter Savanne und glühendem Sand verkommen. Es gibt keine gepflasterten Straßen und Zugang zu der Region für humanitäre Hilfsorganisationen wurde erst im letzten Jahr gewährt.

Tschadische Soldaten überwachen die Ausgabe von Hilfsgütern in der Tschadseeregion. (Photo credit: Ashley Hamer)
Siedlungen für die Geflüchteten verteilen sich um den See und entlang der Grenze zu Niger. Eines der Camps, genannt Dar es Salaam, in dem geschätzt 6.500 Schutzsuchende aus Nigeria und Niger versammelt sind, ist circa 12km von der Stadt Baga Sola entfernt. Es ist Teil eines Gebiets, das als „Rote Zone“ angesehen wird – hier müssen Hilfsorganisationen von bewaffneten Gruppen eskortiert werden.

Vertriebene Familien bei der Abgabe ihres Fingerabdrucks zur digitalen Registrierung. (Photo credit: Ashley Hamer)
Tschad, der im militärischen Kampf gegen den Aufstand von Boko Haram führend ist, hat es geschafft, seine Ufer zu bewachen.
Dennoch sagt Sanogo: “Der Tschad ist extrem verwundbar und von allen Seiten von Krisen umgeben – Libyen, Sudan, der Zentralafrikanischen Republik und Boko Haram. Wir können die Situation nicht noch schlimmer werden lassen.“

Haje Fanta, 28, aus Niger versorgt zwei ihrer Kinder im Flüchtlingslager. (Photo credit: Ashley Hamer)
70% der von Boko Haram Vertriebenen, die in der Tschadsee-Region Zuflucht suchen, sind Frauen und Kinder. Haje Fanta, 28, ist eine von ihnen. Sie wurde auf ihrer Flucht aus dem Niger von ihrem Mann und zwei ihrer Kinder getrennt. Sie kümmert sich nun allein um ihre anderen beiden Kinder und hat seit über fünf Monaten nichts von ihrem Mann gehört. Das Geld, dass sie bekommt, reicht gerade um für ihre Kinder Essen für 20 Tage im Monat zu kaufen. Für die verbleibenden Tage muss sie sich Geld leihen, betteln oder hungern.

Ein Baby wird gewogen im Flüchtlingslager. (Photo credit: Ashley Hamer)
Vertriebene Familien bekommen Geld in Höhe von 6.000 Zentralafrikanischen Francs (ca. $10) pro Person und Monat, für alles was sie brauchen – von Essen und Kleidung über eine Unterkunft bis hin zu Medizin.
Über diese Krise wird kaum berichtet. Das hat zum einen mit dem schlechten Zugang zu der Region zu tun, zum anderen fehlen den Hilfsorganisationen ausreichende Finanzmittel um die Zivilbevölkerung zu unterstützen.

In der Region um den Tschadsee gibt es keine geteerten Straßen. (Photo credit: Ashley Hamer)
Gleichzeitig lähmt eine sich verschlimmernde Wirtschaftskrise, die 2015 durch fallende Ölpreise ausgelöst wurde, die Fähigkeit der tschadischen Regierung, angemessen auf die Flüchtlingskrise reagieren zu können. Aktivisten der Handelsunion beanstanden, dass die schwindenden Ressourcen des Landes hauptsächlich den bewaffneten Streitkräften zugutekommen.
Da Vorräte immer knapper werden und die Fälle von Mangelernährung bei kleinen Kindern rapide steigen, sind das Welternährungsprogramm und andere Hilfsorganisationen besorgt, dass die Grundversorgung der Zivilbevölkerung, die auf unbestimmte Zeit in diesem Niemandsland gestrandet ist, nicht mehr gewährleistet werden kann.