Seit einigen Wochen lebe ich in Mexiko, die Wiege des Machismos und ein Land mit einem widersprüchlichen Verhältnis zur weiblichem Emanzipation: Einerseits wurde kürzlich eine Frauenquote für den Kongress eingeführt, andererseits sind häusliche Gewalt an Frauen, Vergewaltigungen und Frauenmorde noch immer Teil eines Gesellschaftssystems, das ungern öffentlich hinterfragt wird.
Doch nicht nur in Lateinamerika ist die Geschlechterungleichheit prekär: Insbesondere in Entwicklungsländern leiden Frauen und Mädchen unter struktureller Diskriminierung, die sich auf alle Lebensbereiche auswirkt. Viele dieser Frauen tragen durch Kindererziehung, den Haushalt und andere Aufgaben in der Gemeinschaft einen Großteil der Last.
Kulturelle und rechtliche Barrieren führen dazu, dass sie ihr Potential nicht annähernd ausschöpfen können. Sexismus äußert sich häufig in Form von physischer und psychischer Gewalt. In den ärmsten Ländern leiden Frauen und Mädchen besonders unter extremer Armut.
Armut und Sexismus gehen Hand in Hand
Ein Bericht der entwicklungspolitischen Organisation ONE macht deutlich, dass Frauen und Mädchen in allen Lebensbereichen stärker von extremer Armut betroffen sind als Männer: In den am wenigsten entwickelten Ländern ist die Alphabetisierung von Frauen um ein Drittel niedriger als bei Männern, 86 Prozent der erwerbstätigen Frauen arbeiten unter sklavenähnlichen Bedingungen und das Risiko für junge Frauen in Subsahara-Afrika, sich mit HIV zu infizieren, ist doppelt so hoch wie für Männer.
Das ist nur der Anfang einer langen Liste. Kurzgefasst: Armut ist sexistisch! Extreme Armut kann nicht beendet werden, wenn wir die Tatsache ignorieren, dass Frauen und Mädchen zu kurz kommen. Diese Situation muss sich ändern. Nicht nur, weil sie eine globale Ungerechtigkeit ist, sondern weil von der Stärkung der Frauen ganze Gesellschaften profitieren. Wir alle hätten gewonnen.
Die Stärke von Frauen und Mädchen
ONE stellt fest, dass das wirtschaftliche Potential von Frauen in Entwicklungsländern riesig ist. Ein Ende der strukturellen Benachteiligung des weiblichen Geschlechts würde massiv zur Armutsbekämpfung beitragen.
Beispiele? Gibt es zuhauf. Hätten Frauen denselben Zugang zu Produktionsmitteln in der Landwirtschaft (Land, Saatgut, Dünger, Kredite, technische Hilfsmittel, usw.) wie Männer, würde die Zahl der Hungernden weltweit um bis zu 150 Millionen sinken.
In Ländern wie Mexiko und Indien zeigte sich, dass eine größere Entscheidungsbefugnis von Frauen im privaten und öffentlichen Haushalt zu höheren Investitionen in öffentliche Güter (z.B. Sanitäranlagen) und Zukunftsinvestitionen (z.B. Impfungen und eine gesundere Ernährung) führen.
Warum wird dieses ungeheure Potential bisher kaum genutzt? Frauen und Mädchen hätten längst in den Mittelpunkt des Kampfes gegen extreme Armut gerückt werden müssen. Wir brauchen zielgerichtete Investitionen in Gesundheit, Bildung und wirtschaftliche Emanzipation, um extreme Armut zu beenden.
Die Weltgemeinschaft steht in der Pflicht, endlich mehr als nur ein Zeichen zu setzen, damit Frauen, insbesondere in Entwicklungsländern, ihre gesellschaftliche, politische sowie wirtschaftliche Wirkungsfähigkeit entfesseln. Sie wäre es den Frauen und Mädchen schon lange schuldig.
Entwicklungsjahr 2015
Die Gelegenheit ist günstig: Am 16. und 17. September hat die Bundeskanzlerin zum Frauendialog ins Kanzleramt eingeladen. Auch wenn das Dialogforum jährlich stattfindet, hat es durch die deutsche G7-Präsidentschaft in diesem Jahr ein besonderes Gewicht.
Der Fokus geht weit über nationale Belange hinaus und liegt erstmals auf der Stärkung von Frauen in Entwicklungsländern. Das Thema wird in Deutschland also Chefsache. Diesem Beispiel sollten weitere Länder folgen.
Wenn insbesondere in den ärmsten Ländern Maßnahmen ergriffen werden, um Frauen und Mädchen in allen Lebensbereichen zu stärken kann extremer Armut tatsächlich der Garaus gemacht werden.
Am 25. September 2015 werden die 17 Globalen Ziele für Nachhaltige Entwicklung auf einer Sonderkonferenz der Vereinten Nationen in New York verabschiedet.
Damit sollen extreme Armut und chronischer Hunger bis 2030 ausgemerzt werden. Ziel Nummer fünf beinhaltet Geschlechtergerechtigkeit und die Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen. Die Globalen Ziele können nur erreicht werden, wenn sie auf breiter Ebene unterstützt werden und ihr Fortschritt nachverfolgt werden kann.
Ich fordere Bundeskanzlerin Merkel daher auf, ihre Führungsrolle bei der Stärkung von Frauen und im Kampf gegen extreme Armut stärker wahrzunehmen. Nur so wird Deutschland seiner Verantwortung innerhalb der G7 gerecht. Es wird Zeit, die weltweite Ungleichheit der Geschlechter zu beenden. Wir, Männer wie Frauen, hätten es verdient!
-Daniel Wegner-
Zuerst erschienen bei Huffington Post